Paul Pietsch Classic (2022) – Willi geht die Puste aus
Für schöne Oldtimer lässt Denis Lehmann auch mal seine Arbeit liegen. Obwohl der Endfünfziger eigentlich ein pflichtbewußter Mensch ist, will er am Freitagmorgen beim Start der Paul Pietsch Classic auf dem Platz vor der Reithalle dabei sein. Den von den alten Preziosen verbreiteten Benzingeruch atmet er ein, als wäre es reinste Schwarzwaldluft. Der Klang der ratternden Motoren klingt wie Musik in seinen Ohren. Ein breites Grinsen liegt in seinem Gesicht, wenn er die alten Klassiker und die in die Jahre gekommenen Youngtimer vor sich sieht. Aber Lehmann ist nicht nur Fan, er besitzt selbst einen Oldtimer.
Paul Pietsch Classic (2022) bei der Startaufstellung
Mit seinem Austin Healey aus dem Jahr 1958 würde er gern selbst mal auf dieser Rallye mitfahren, doch die Startgebühr von 1.500 Euro will der Ortenberger für diese zweitägige Rallye, die am ersten Tag durch Kinzig- und Elztal bis in den Hoch-Schwarzwald führte, nicht ausgeben. Und so bleibt es halt beim Gucken. „Der Veritas RS kostet ja Millionen“, schaut sein Kumpel Martin Bürkle beeindruckt auf das silberfarbene Gefährt aus dem Baujahr 1947. Traditionell starten in diesem Fahrzeug Patricia Scholten und Peter-Paul Pietsch, Tochter und Sohn des Rennfahrers und Gründers der Motorpresse, Paul Pietsch. Mit solch einem offenen Sportwagen feierte der Vater im Jahr 1950 die Deutsche Meisterschaft.
Überwiegend Bestager verfolgen kurz nach 8 Uhr morgens den Start der 120 Fahrzeuge. Im 60 Sekunden Abstand dürfen die automobilen Raritäten durch den Startbogen fahren. „Ich freue mich über die Opelaner, die halten ihr Erbe hoch“, kommentiert Streckensprecher Andreas Hoffmann, als das Team mit Joachim Winkelhock und Kai Klauder mit einem Opel Kadett C GT/E aus dem Baujahr 1977 startet. Während andere Autobauer sich auf der Elektromobilität konzentrieren, und nicht bei dieser Oldtimer-Rallye starten, sind die Rüsselsheimer gleich mit drei Kadett Modellen und einem Commodore A Coupé dabei.
„Tradition ist uns sehr wichtig. Es ist uns eine Herzensangelegenheit sie zu pflegen“, bekennt Opel Kommunikationschef Harald Hamprecht (Titelfoto). Der Opel Kadett war neben dem VW Käfer damals schließlich eines der meistverkauften Autos in Deutschland.
Mit Startnummer 50 fährt „Willi“ bei bestem Frühsommerwetter auf den gepflasterten Platz vor der Reithalle. Der Kleinbus von Dominic Müller bringt mit seinem 1,9 Liter Motor gerade mal 80 Pferdestärken auf die Straße, nicht wirklich viel, wenn darin 9 Personen den Schwarzwald hoch sollen. „Willi“ ist natürlich nur der Spitzname des Mercedes Benz O 319 aus dem Jahr 1963. Dabei steht das „O“ steht für Omnibus. Willi ist vielen bekannt aus Funk und Fernsehen, denn der 3,5 Tonner wird immer wieder gern für Fernsehaufnahmen gebucht. Der Müller hat alle Hände voll zu tun, seinen Willi zu lenken.
Auf den kurvenreichen Bergstraßen geht das Steuern ohne Servo-Lenkung ordentlich in die Oberarme. Nein, ein schlechtes Gewissen, mit so ein uralten Gefährt die Umwelt zu belasten, hat Müller nicht. „Es gibt ja nichts nachhaltigeres als ein Oldtimer“, betont der aus dem Rheinland stammende Hotelier. Seit 60 Jahren laufe Willi zuverlässig, kein Plastik sei in ihm zu finden, alles kann repariert werden.
An diesem Tag geht Willi allerdings beinahe die Puste aus, weil ein Unterdruck im Tank im die Energie nahm. Ein Nachtanken aus dem Kanister konnte das Problem zum Glück lösen. Die Prüfungen, die es während der 240 Kilometer langen Tour zu bestehen gilt, stehen für Müller nicht im Fokus. Die Gäste in seinem Omnibus sollen sich unterhalten fühlen. Ganz anders, als für die meisten der anderen Teilnehmer, die ehrgeizig um den Sieg kämpfen.
Eine solche Rallye will sorgfältig organisiert sein. Ehrenamtliche Helfer, die meisten von ADAC Südbaden, helfen an jeder Stelle, schließlich sollen alle Teilnehmer sicher ans Ziel kommen. Im Porsche 911 Cabrio mit der Startnummer 101 sind Jürgen und Pit Papst am Start. Vater und der inzwischen erwachsene Sohn genießen die gemeinsame Zeit.
Den Sportwagen hat Jürgen Papst 1992 zur Geburt seines Sohnes gekauft. „Andere verkaufen ihre Zweisitzer, wenn sie Nachwuchs bekommen, ich habe mir einen gegönnt“, so der 58jährige Uhren-Händler. Es ist erst die 2. Oldtimer-Rallye, an der die beiden teilnehmen.
Die schönsten Winkel des Schwarzwalds bekommen die in Fulda lebenden Männer zu Gesicht. „Der ältere Herr fährt“, witzelt Pit schmunzelnd. Darf der Sohnemann etwa nicht ans Steuer? Jürgen Papst schmunzelt: „Pit hat einfach eine schnellere Auffassungsgabe, was Roadbook lesen und Prüfungsansage angeht“. Unter die Top 30 wollen die beiden nämlich kommen, schließlich fahren sie im Team von Union Glashütte. Da will man sich natürlich keine Blöße geben. Am Ende wird es Platz 22. Geschafft.
Und weil die Strecken durch den Schwarzwald so wunderschön waren, wollen Pit und Jürgen im nächsten Jahr wieder mit von der Partie sein, wenn die 10. Mail Pietsch Rallye in Offenburg startet.
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Cornelia Weizenecker
Ich bin die Frau bei Der-Autotester.de. Autos sehe ich nicht durch die rosarote Brille. Von heißen Kisten bleibe ich (meist) unbeeindruckt. „Hauptsache es fährt“, lasse ich aber auch nicht durchgehen. Ganz im Gegenteil. Ein Auto muss für mich vor allem alltagstauglich, umweltschonend und bezahlbar sein. Nur bei Cabrios und Oldtimern kann ich schwach werden. Elektroautos bringen mich zum Strahlen.
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