Autohandel liegt brach: Viele fürchten den Corona-Tod
Die Nachricht schlug in der Branche ein wie eine Bombe: Das renommierte Autohaus Wichert ist pleite. Das war im Februar. Damals war der Corona-Virus noch in weiter Ferne. 1400 Menschen beschäftigte das Unternehmen an seinen 23 Standorten in Norddeutschland. Jetzt bemüht sich der Insolvenzverwalter um einen Investor, um zu retten, was noch zu retten ist. Doch inzwischen sorgt sich nicht nur Wichert, sondern das gesamte Gewerbe um seine Zukunft. Corona führt zu massiven Beeinträchtigungen im Geschäfts- und Privatleben.
Die Folgen der Pandemie sind fatal: Die Automobilproduktion ruht fast überall. Ford hat seinen Fertigungsstopp gerade bis Anfang Mai verlängert. In Europa und Nordamerika wird BMW seine Werke bis 30. April geschlossen halten. Auch andere Hersteller haben ihren Shutdown ausgeweitet. Kaum jemand ist in diesen unheimlichen Zeiten zum Kauf eines neuen Autos bereit, und außerdem ist es schwierig.
Nachfrage bricht ein
Das Kraftfahrtbundesamt meldete für März 215.100 Pkw-Neuzulassungen, – 38 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. „Dies ist der höchste Rückgang auf dem Pkw-Markt in einem Monat im wiedervereinigten Deutschland“, stellte der Verband der Automobilindustrie VDA fest. Mit einem Minus von 30 Prozent habe der Auftragseingang aus dem Inland im abgelaufenen Monat – Corona bedingt – ebenfalls deutlich unter dem Vorjahresniveau gelegen.
Laut „ifo Institut“ sind die Geschäftserwartungen der deutschen Autoindustrie für die nächsten Monate wegen der Corona-Epidemie eingebrochen. Der entsprechende Index sei im März um 14 auf minus 33,7 Punkte abgesackt. Auch die anderen Indizes für die Autobranche hätten im Monatsvergleich herbe Einschnitte gezeigt. Die Erwartungen für Nachfrage und Produktion seien äußerst verhalten.
Von da an ging´s bergab
Ein Grund für die dramatische März-Bilanz sind wohl auch die Restriktionen, die Bund und Länder in Kraft gesetzt haben, um die Ausbreitung des aggressiven Covid-19-Virus über einen möglichst langen Zeitraum zu strecken. So sind die Verkaufsräume der Automobilhändler seit 18. März geschlossen. Die Bundesregierung hat den stationären Kraftfahrzeughandel bis auf weiteres untersagt, um das Ansteckungsrisiko zu reduzieren. Der Zentralverband des Kraftfahrzeuggewerbes ZDK befürchtet deshalb eine Pleitewelle.
Schon vor der Corona-Krise agierten viele Betriebe – so wie das Autohaus Wichert – auf dünnem Eis. Die Folgen des Dieselskandals, Lieferengpässe durch die Umstellung auf das neue WLTP-Zulassungsverfahren sowie hohe Investitionen in die Elektromobilität und Digitalisierung schmälern die Gewinne.
Ein weiteres Dilemma des Handels: Bereits verkaufte Autos erreichen ihre Besitzer nicht oder nur mit großer Verzögerung, weil die Zulassungsstellen aus Sorge vor Ansteckungen nur zeitweise öffnen oder ganz geschlossen haben. In einem Brandbrief an Bundeswirtschaftsminister Altmaier, Bundesverkehrsminister Scheuer und Kanzleramtsminister Braun beklagt der ZDK „ein sich mehr und mehr verengendes Nadelöhr, das einer schnellen, unbürokratischen Lösung bedarf.“
Von Corona in den Shutdown
All das hätte sich Ford-Händler Jürgen Gottwald nicht träumen lassen, als er mit seiner Familie und Freunden im Februar nach Österreich zum Skifahren aufgebrochen war. Nach fünf Tagen kehrte der Trupp planmäßig nach Hause zurück, und Gottwald ging mit leichtem Halskratzen ins Büro. Doch die Symptome verschlimmerten sich. Wenig später erhielt er die Diagnose: Covid-19 positiv. Das Gesundheitsamt legte seinen Betrieb in Jessen (Sachsen-Anhalt) still und schickte die Belegschaft in häusliche Quarantäne. Jetzt könnte Gottwald wieder starten, wäre da nicht das staatlich verordnete Verbot des stationären Handels.
Der Handelsverband Deutschland HDE und der Volkswagen und Audi Partnerverband VAPV sehen schwarz für die Zukunft des Automobilhandels. Sie warnen vor massenhaften Pleiten. Der Shutdown katapultiere tausende Einzelhändler und Autohäuser in Existenznöte. Das Rettungspaket der Bundesregierung sei unzureichend. VAPV-Präsident Dirk Weddigen von Knapp sieht mehr als die Hälfte der VW- und Audi-Handelsbetriebe akut bedroht. Die Liquidität reiche für 30 bis 40 Tage. Danach sei ein Großteil der Betriebe tot. Rund 70 Prozent aller Autohäuser und Kfz-Betriebe nehmen bereits Kurzarbeitergeld in Anspruch.
Verband bittet um mehr Hilfe
Der Zentralverband des Kraftfahrzeuggewerbes, der 36.600 Unternehmen mit knapp 440.000 Beschäftigten vertritt, begrüßt die staatlichen Initiativen und Entlastungen durch Hersteller und Importeure grundsätzlich. „Sie helfen unseren Mitgliedern, Zeit zu gewinnen. Retten werden sie die Betriebe allerdings nicht“, betont ZDK-Präsident Jürgen Karpinski. Mit einer Umsatzrendite von gerade einmal 1,3 Prozent und hohen Warenwerten ist der Kraftfahrzeughandel ohnehin nicht auf Rosen gebettet.
In einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat Karpinski deshalb darum gebeten, Ergänzungen am Hilfspaket der Bundesregierung vorzunehmen. Das danach beschlossene neue KfW-Programm „Schnellkredit“, bei dem der Staat 100 Prozent der Risiken trägt, ist laut ZDK gerade für die mittelständischen Kfz-Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten „eine wichtige Erleichterung in den aktuell sehr schwierigen Zeiten“.
Die Kernbotschaft an die Politik formuliert der oberste Interessenvertreter der Branche allerdings so: „Unsere Händler müssen ihre Ausstellungsräume so schnell wie möglich wieder öffnen dürfen.“ Das Gewerbe könne noch so günstige Kredite nicht bedienen, wenn es keine Autos verkaufe. Im Übrigen ließen sich in den Showrooms unmittelbare Kontakte zwischen Kunden und Personal viel einfacher vermeiden als in jedem Baumarkt.
Zurück zum geordneten Leben?
Sollte bis Ende April kein stationärer Fahrzeugverkauf möglich sein, prognostiziert einer der größten Autohändler Deutschlands den Schaden für seine Unternehmensgruppe für die ersten vier Monate des Jahres gegenüber dem Branchenmagazin „kfz-Betrieb“ auf 13 bis 14 Millionen Euro. Der geplante Gewinn von drei Millionen Euro wäre pulverisiert. Aktuell sei der Fahrzeugverkauf um 80 Prozent zurückgegangen. In anderen Häusern ist er nahezu vollständig zum Erliegen gekommen. Die fehlenden Aufträge werden sich bis zum Jahresende kaum aufholen lassen.
Beim Autohaus Jacob Fleischhauer, das in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz an zehn Standorten präsent ist, zehn Marken des Volkswagen Konzerns vertreibt und 1200 Menschen beschäftigt, ist die Situation ähnlich. Mit fast 25.000 Neu- und Gebrauchtwagenverkäufen im Jahr zählt die Gruppe zu den Platzhirschen im Wirtschaftsraum Aachen, Bonn, Düsseldorf und Mönchengladbach. Im März hat Fleischhauer 1400 Neu- und Gebrauchtwagen verkauft. In einem normalen März sind es durchschnittlich 2300. „Mit der Schließung unserer Ausstellungsflächen Mitte des Monats ist die Nachfrage massivst eingebrochen“, sagt Geschäftsführer Markus Kemp. Den Shutdown bezeichnet er als „Superkatastrophe“. Ein Trost: Das Werkstattgeschäft laufe den Umständen entsprechend gut.
„Wir haben unseren Vertrieb ja nicht eingestellt“
Ein großer Teil der Fleischhauer-Belegschaft ist in Kurzarbeit. Zuvor hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Überstunden und Resturlaube abgebaut. Hinter den großen Fenstern der Ausstellungsräume, sind Neu- und Gebrauchtwagen so aufgestellt, dass die Kunden quasi im Vorübergehen auf besonders interessante Angebote aufmerksam werden. Die Verkäufer beraten die wenigen Interessenten telefonisch oder online und stellen ihnen die Autos zur Probefahrt vor die Haustür. „Wir haben unseren Vertrieb ja nicht eingestellt“, sagt Kemp. Jetzt hofft er auf eine schnelle Beendigung des Shutdown und darauf, dass sich niemand von seiner Mannschaft mit dem Virus infiziert. „Wenn wir einen Standort schließen müssten, wäre das der Supergau“, so der Fleischhauer-Geschäftsführer.
„Ich kann mir einen monatelangen Shutdown nicht vorstellen. Ab Anfang Mai müssen wir wieder in ein geordnetes Leben eintreten“, fordert Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft IDW. „Der stationäre Verkauf von Automobilen sollte spätestens nach Ostern unter Wahrung des Gesundheitsschutzes und der Einhaltung der Hygienevorschriften wieder erlaubt werden, um Pleiten im Handel verhindern zu helfen“, heißt es in einem gemeinsamen Appell von VDA, ZDK und dem Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller VDIK an Bund, Länder und Kommunen.
Minister Braun: Die Gesundheit geht vor
Ob sich der Wunsch der Branche erfüllt, ist fraglich. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ bezog Kanzleramtsminister Helge Braun klar Position: „Die Vorstellung, dass wir in Deutschland vielleicht bald manche Kranke nicht mehr versorgen können, weil die Zahl der Infektionen hochschießt, ist so schwerwiegend, dass ich sage: Das Wichtigste ist zunächst, dass wir das vermeiden. Dahinter steht die Wirtschaft erst mal einen großen Schritt zurück.“ Trotzdem arbeiten die Regierenden auf Bundes- und Landesebene längst an einem Fahrplan für die schrittweise Rückkehr in die Normalität. Wann er in Kraft treten wird, wagt allerdings niemand vorauszusagen, weil die weitere Verbreitung des Virus nur schwer einzuschätzen ist. Gemunkelt wird vom 20. April.
Wie Fleischhauer versuchen derweil fast alle Autohändler, ihren Geschäftsbetrieb telefonisch oder digital, mit Beratungen per Skype und individuellen Terminen für Probefahrten aufrechtzuerhalten. Auto Seubert in Straubing beschreibt den „Weg zum Traumauto“ auf seiner Website so: „Auto auf unserer Website aussuchen. Verkaufsteam per Kontaktformular, E-Mail oder Telefon kontaktieren. Bezahlen per Überweisung. Lieferung des Wunschautos an Ihre Haustür.“ Wenn das so einfach wäre: Beim Neuwagenkauf lassen sich die Deutschen noch immer am liebsten von ihrem Verkäufer persönlich beraten und warten deshalb wahrscheinlich lieber die Zeit nach Corona ab. Derweil schließen erste Händler ihre Dependancen. ampnet
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