der-Autotester
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Sein Auftritt ist furios. Stärker als erwartet zieht er die Passanten in seinen Bann. Im auto-verrückten Rom bleiben unzählige Menschen mit offenem Mund stehen, drehen sich nach ihm um und recken begeistert den Daumen hoch. Ein kurzer Stopp am Straßenrand wird zum Menschenauflauf. In Ehren ergraute Italienerinnen bekreuzigen sich. Es gleicht einem Lauffeuer. Ganze Familien kommen mit Foto-Handys angelaufen, um einen Blick zu erhaschen – ihn zu sehen und zu hören. Viele Fragen.Zum Glück kann ich nicht italienisch. Was ich mit dem McLaren 720S erlebe, reicht nicht an Ferrari oder Lamborghini heran. Mag sein, es ist der Reiz des Unbekannten im Land von Enzo Ferrari und ….. Lamborghini. Auch die meisten Auto-Journalisten können sich dem Phänomen McLaren nicht verschließen. Selbst alte Hasen, die schon jedes Auto unter dem Popometer hatten,scheinen aufgeregt.Dieser wunderschöne Supersportwagen ist nicht allein optisch gelungen. Auch sein Sound-Design könnte kaum verbessert werden. Der neue 720S scheint in jedem Moment den richtigen Ton zu treffen. Mit ihm lässt es sich entspannt cruisen – dann hält sich das akustische Crescendo angenehm zurück. Wenn der wilde Engländer mit seinen 720 PS aber von der Leine gelassen wird, faucht er so feurig, wie es ein Italiener kaum besser könnte. Nie werde ich diesem Sound überdrüssig. Denn er übertreibt nicht. Wird nie zu laut. Es sei denn, für die Nachbarn. Wer die schonen möchte, drückt den Sound-Botton erst nach der Ortsausfahrt.Länger hält es sein Fahrer aber kaum aus. Zu süß ist diese Versuchung. Apropos Versuchung. Die noch größere ist die Überschreitung von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Denn dieser Bolide schafft den kurzen Sprint auf Tempo 100 in nur 2,9 Sekunden. Das klingt wenig. Ist es auch! Unvorstellbar schnell jagt der 720S aus dem Stand auf Landstraßentempo. Aber wie zu erwarten war, ist da längst nicht Schluss. Gefährliche 341 Stundenkilometer schafft die 4-Liter Maschine in diesem McLaren aus der Superserie. Kenner werden seine 568 Newtonmeter Drehmoment begeistern. Nur 7,8 Sekunden dauert es übrigens, bis er von 0 auf 200 ist! Und um es auf den Höhepunkt zu treiben: In 21.3 Sekunden erreicht der 720S die 300er Marke.

Das muss man erlebt haben. In solchen Tempobereichen werden die scheinbar ebenen italienischen Autobahnen zu Rüttelpisten. Für Milli-Sekunden scheint das elektro-hydraulisch unterstütze Lenkrad immer wieder den Kontakt zur Straße zu verlieren. Da vermisst man schnell die Qualität der Autobahnen zuhause. Zum Glück zeigen die Bremsen dieses McLaren die gleiche Qualität wie sein Antrieb. Ohne den Wagen aus der Bahn zu bringen, reduzieren sie unterstützt von den elektronischen Helferlein das Tempo atemberaubend. In 2,8 Sekunden (29,7 Meter) wird dieser Sportwagen von Tempo 100 auf 0 abgebremst. Man muss eigentlich nicht erwähnen, wie sicher der 720S selbst bei schnell gefahrenen Kurven in der Spur bleibt. Stets gutmütig und auch für die Nicht-Vettels unter uns zu bewältigen.

Seit den Tagen des McLaren MP4 12-C hat sich die Qualität im Innenraum beachtlich entwickelt. Auch wenn hier noch keine Audi-Anmutung erreicht wird, ist der Innenraum des 720S richtig schön geworden. Funktional auch. Von der Stange aber nicht. Dafür gibt es zu viele Bedienfeinheiten, die man kennen muss. Intuitiv würde ich das bei aller Begeisterung nicht nennen. So muss man sich an die Bedienung der Sitzeinstellung ohne Blickkontakt gewöhnen. Das Navigationssystem lässt sich bisweilen etwas zu viel Zeit, bis die verbale Ansage kommt. Das in den hochschwingenden Türen eingelassene, getönte Glas lässt die Sonnenstrahlen nur wenig gemildert an das Haupt der Insassen.

Blick auf Motorraum McLaren 720S

McLaren sagt, es gebe eine zusätzliche Folie. Ich finde, ein feines Netz wäre wohl wirksamer. Fahrer und Beifahrer können selbst auf längeren Autobahnstrecken gut auf dem sportlichen Ledergestühl aushalten, das die Balance zwischen Halt und Bequemlichkeit magisch hält. Selbst mit einer Körpergröße von 1,86 Meter kann man auf der Beifahrerseite die Füße entspannend strecken. Im Carbonfaser-Monocoque fühlt man sich nicht eingeengt. Der Einstieg stellt setzt keine akrobatischen Fähigkeiten voraus, weil die Flügeltüren in der Dachmitte verankert sind und so eine große Luke frei machen. Der Einsteigevorgang ist sogar Minirock tauglich.

Ach ja, nach der Lektüre meines Fahrberichts wollen Sie vermutlich gleich los laufen und einen McLaren 720S bestellen. Da fehlt natürlich eine wesentliche Information. Was kostet dieser Supersportwagen, der im englischen Woking (nahe London) auf weißen Fliesen gebaut wird? Mindestens 250.000 Euro!

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Wenn man, wie in unserem Testwagen (Luxury-Version) noch das ein oder andere Extra dazu fügt, sind die 300.000 Euro unschwer erreichbar. Damit ist er im Kreis seiner Artgenossen um Lamborghini und Ferrari übrigens eher günstig. Ok – günstig ist relativ. Und selbst wenn Sie diesen Betrag für gewöhnlich unterm Kopfkissen lagern, wird es nicht einfach. Die ersten 400 Fahrzeuge wurde schon im März auf dem Automobilsalon in Genf verkauft, wo der McLaren 720S seine Weltpremiere feierte. Wer heute bestellt, muss mindestens ein Jahr auf sein gutes Stück warten. Vorfreude soll ja die beste Freude sein.

Technische Daten:

McLaren 720S Luxury

Länge x Breite x Höhe (in m): 4,543 x 2,161 (mit Spiegeln 2,02) x 1,196

Radstand (m): 2,67

Motor: M840T engine, 4,o Liter Twin-Turbo V8

Leistung: 530 kW / 720 PS bei 7500 U/min

Max. Drehmoment: 770 Nm von 5500 U/min

Höchstgeschwindigkeit: 341 km/h

Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 2,9 Sek.

ECE-Durchschnittsverbrauch: 10,7  Liter

CO2-Emissionen: 249 g/km

Leergewicht: min. 1283 kg

Kofferraumvolumen: Front 150 Liter/ Rear 210 Liter

Basispreis: 250.000 Euro

Fotos: Dr Friedbert Weizenecker