Mexiko: Das neue Powerhouse für Autobauer

Audi-Werk im mexikanischen San José Chiapa

Audi hat jüngst ein komplett neues Werk in Mexiko eingeweiht. Weniger mit dem Land Vertraute mögen dabei zuerst an Montage denken, an die Produktion einfacher Teile. Nein: Die neue Fabrik steht für die Fertigung eines kompletten Automobils. Sogar für ein Premium-Modell: für den Audi Q5. Der feierte gerade auf dem Pariser Automobilsalon seine Weltpremiere mit Ausstellungsstücken aus Mexiko. Mit Ausnahme von China und Indien (mit eigenen Produktionsstätten für den lokalen Markt) wird dieses Werk die gesamte Welt mit dem Q5 beliefern.Mexiko ist weit weg: 10 000 Kilometer – auch in den Gedanken. Maya- und Inka-Schätze mögen bekannt sein, vielleicht die Ferienstrände (Acapulco, Cancun), natürlich Tequila, Corona-Bier und der Zaun, mit dem die Amerikaner ihre südliche Grenze abriegeln. Dabei glänzt das Land mit Superlativen: größer als Deutschland, Frankreich, Spanien und Großbritannien zusammen (1,97 Millionen Quadratkilometer), es ist das fünftgrößte Land auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Mexiko ist auch das Land mit den meisten spanisch sprechenden Einwohnern: 122 Millionen, Platz 11 der bevölkerungsreichsten Staaten der Erde.

Ein Sechstel der Bevölkerung ballt sich im Großraum Mexico City zusammen: Mit über 20 Millionen Menschen eine der größten Metropolregionen der Welt. In ihr drängen sich vier Millionen Autos – auch übereinander auf zum Teil dreistöckigen Schnellstraßen, die keine sind: Mexico City trägt den zweifelhaften Titel als Stau-Hauptstadt der Welt. 2300 Meter hoch gelegen und auf drei Seiten von Bergen um-geben, gilt Mexico City neben Peking auch als die Hauptstadt mit der schlechtesten Luft. Dabei dürfen private Autos je nach Smog-Konzentration, Kennzeichen und Abgasklasse an bestimmten Tagen der Woche gar nicht fahren.

Einweihung des Audi-Werks im mexikanischen San José Chiapa

Stau und Smog sind die Kehrseite einer grandiosen Erfolgsgeschichte, die Industrieprodukte, vor allem aber Automobile aus Mexiko schreiben in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten. Ihren Anfang nahm sie im Wesentlichen in Puebla, heute eine Millionen-Metropole 140 Kilometer südöstlich von Mexico City. 1964 eröffnete Volkswagen dort ein Montagewerk. Es wuchs rasch zum größten Automobilwerk im Land und zu einer der bedeutendsten Produktionsstätten im Konzern: Millionen von Käfern leiteten ähnlich wie seinerzeit bei uns die Volksmotorisierung in Mexiko ein. Gebaut wurde der „Vocho“ bis 2003, 28 Jahre länger als in seiner Heimat. Heute baut Volkswagen in Puebla den Golf und seine Stufenheck-Abwandlung Jetta, dazu den New Beetle schon in zweiter Generation. Der Käfer ist aus dem Straßenbild weitgehend verschwunden, eine Oldie- und Club-Szene wie bei uns und besonders in den USA gibt es kaum. Volkswagen ist aber weiter eine der stärksten Marken im Land.
Mexiko, vor allem die Industrieregion um Puebla, bietet genügend ausgebildete Kräfte. Und dazu ein Lohnniveau, das nur etwa ein Fünftel des Niveaus in der EU oder in den USA erreicht. Das „North American Free Trade Agreement“ (NAFTA) ermöglicht schon seit 1994 zollfreien Export in mehr als 50 Länder, darunter in die USA und in die EU. Mexikos Wirtschaft rangiert unter den 20 größten der Welt. Audi-Chef Rupert Stadler sieht im Land geradezu ein „Powerhouse“ mit sehr günstigen Bedingungen. In der Tat: Fast alle großen Hersteller lassen hier fertigen. GM, Ford, Fiat und Chrysler, Kia, die großen Japaner und Volkswagen betreiben 18 Werke in Mexiko, aus ihnen kommen 48 verschiedene Modelle. Sie addierten sich 2015 zu einer Gesamtproduktion von 3,6 Millionen Fahrzeuge, Mexiko war damit im vergangenen Jahr das siebtgrößte Herstellerland überhaupt. Bis 2018 sollen es mehr als fünf Millionen Autos werden, nicht zuletzt, weil unter anderen BMW und Daimler ebenfalls Werke vorbereiten. Auf Dauer könnte Mexiko sogar Deutschland (5,7 Millionen Fahrzeuge in 2015) überholen.

Das neue Werk von Audi befindet sich 2400 Meter hoch in einer weiten Ebene in der Nähe des Ortes San José Chiapa, gute 50 Kilometer von Puebla entfernt – und, wie ein Audianer lächelnd sagt, „in the middle of nowhere“. Wo bisher allenfalls Maisfelder standen und Schafe weideten, ragen jetzt zweihundert Meter lange Montagehallen auf, eine Lackiererei, Presswerk, Karosseriebau, ein Qualitätslabor. 400 Hektar Fläche werden genutzt, mehr als eine Milliarde Euro wurde investiert. Der Staat Puebla steuerte Strom- und Wasserversorgung bei, Bahngleise und eine schnurgerade Schnellstraße als Anbindung zur nächsten Autobahn. Audi beschäftigt, wenn das Werk voll produziert, 4200 Mitarbeiter. Rund 20 000 sind es, wenn man die Zulieferer einrechnet, die sich zum Teil neben dem Werk angesiedelt haben. Für die Mitarbeiter ist eine eigene Stadt in unmittelbarer Nähe im Bau, sie können das Werk sogar per Fahrrad erreichen – und 100 000 Bäume bewundern, die eigens von Audi gepflanzt wurden. Bei Leuchtturmprojekten wird Umweltschutz groß geschrieben, auch in Mexiko.

Audi-Chef Prof. Rupert Stadler setzte die Latte hoch bei der Einweihung: „Heute ist die Geburtsstunde der Premium-Autoproduktion in Mexiko!“ Er sieht das neue Werk als „Meilenstein in der Unternehmensgeschichte“ – als erstes Audi-Werk in Mexiko und für das erste Premium-Modell aus diesem Land. Das Werk ist eines der modernsten weltweit, und es ist das erste, das Audi als „Smart Factory“ komplett und detailgetreu im virtuellen Raum konzipierte. Die einzelnen Arbeitsabläufe wurden im Computer mit allen ihren Bewegungen simuliert, bevor die Maschinen an ihren Platz kamen. Fehlplanungen wurden so vermieden, das Werk konnte rascher fertiggestellt werden.

In drei Schichten können pro Arbeitstag 500 Q5 gebaut werden. Das sind 150 000 Stück bei 300 Arbeitstagen im Jahr (der Sonnabend ist Arbeitstag in Mexiko). Das Entstehen jedes einzelnen Autos kann im zentralen Produktionsleitstand auf Bild-schirmen bis ins Detail verfolgt werden. „Dort laufen alle Fäden zusammen: Fahrzeugsteuerung, Materialfluss, Logistik, Instandhaltung und IT“, so Stadler. Das intern „Tower“ genannte Kontrollzentrum ermöglicht, frühzeitig kleinste Abweichungen zu erkennen, so dass unmittelbar reagiert werden kann. Kollegen in Ingolstadt können sich zuschalten und fachliche Unterstützung leisten. Die Smart Factory bildet eine wichtige Voraussetzung dafür, ein neues Modell in einem neuen Werk anlaufen zu lassen, mit neuen Mitarbeitern und neuen Lieferanten – und am Ende dafür zu sorgen, dass die hohen Ansprüche an ein Automobil der Premiumklasse erfüllt werden.

der-Autotester

Über 70 Prozent der Teile für den neuen Q5 stammen aus Mexico. Fünf große Zulieferer stellen diese Teile im ebenfalls neuen „Just in Sequence-Park“ selbst her. Rund 180, über 100 davon aus Mexiko, liefern Teile an den JIS-Park. Rund 1000 Mitarbeiter auf 60 Hektar Gesamtfläche stellen sie zu Paketen zusammen, die für jedes Auto exakt die richtigen Teile enthalten. Diese Pakete werden „sequenzgenau“ ans Band geliefert, genau an die Position, an der diese Teile benötigt werden. Umgekehrt sorgt der JIS-Park auch dafür, dass aus dem mexikanischen Werk die richtigen Teile nach Indien und nach China in die dortigen Produktionsstätten verschickt werden, dass die Welt mit den notwendigen Ersatzteilen beliefert wird. Für den kompletten Material- und Behälterfluss wird Radio-Frequency-Identification eingesetzt – erstmals im gesamten Volkswagen-Konzern. RFID sorgt dafür, dass Computer automatisch die richtigen Teile zuteilen, gleichzeitig aber auch dafür, dass sie im Produktionsleitstand verfolgt werden können und bei Fehlern rasch eingegriffen werden kann.

Über 240 000 Bewerber hatten sich um die neuen Arbeitsplätze bemüht, noch vor Produktionsstart zählte Audi bei relevanten Zielgruppen zu den Top-5 Arbeitgebern des Landes. Für die ausgewählten Mitarbeiter betreibt Audi den größten Qualifikationsaufwand in seiner Geschichte. 750 von ihnen wurden sogar in Deutschland geschult. Weitere werden in einem eigens gebauten, 20 000 Quadratmeter großen Trainingscenter in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Puebla auf ihre künftigen Aufgaben vorbereitet an denselben Maschinen, die sie später in der Produktion vorfinden. Junge Menschen am Anfang ihres Berufslebens werden besonders ausgebildet, Modell ist das deutsche Duale System in Praxis und Theorie. In Kooperation mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) wird mexikanischen Maschinenbau-Studenten ein EMA-Stipendium angeboten (Estudiantes Mexicanos en Alamania).

Der neue Audi Q5 kommt Anfang nächsten Jahres in den Verkauf auch in Deutschland. Mit 1,6 Millionen verkauften Exemplaren war dieses über Jahre der Bestseller der Klasse. (ampnet/fer)