Grüne Hölle nun fest in russischer Hand
Wenn in der Eifel der Ruf ertönt „Die Russen kommen“, bedeutet das nichts Militärisches, sondern bezieht sich auf die Besitzverhältnisse am Nürburgring. Nach der spektakulären Pleite der geschichtsträchtigen Rennstrecke vor fünf Jahren und dem darauf folgenden politischen Erdbeben in der rheinland-pfälzischen Landesregierung übernahm im Oktober 2014 Wiktor Wladimirowitsch Charitonin zwei Drittel der Anteile. Jetzt stockte der irgendwo in Sibirien geborene und inzwischen in Saint Tropez und London wohnhafte Oldtimer-begeisterte Multimillionär oder Milliardär – so genau weiß das niemand – sein Eigentum zu Füßen der Nürburg bis auf ein Prozent um den kompletten Rest auf.
Im Allgemeinen pflegen russische Oligarchen beträchtliche Summen für Fußballvereine oder Hochseeyachten auszugeben. Gutes Beispiel dafür ist Roman Abramowitsch, der den 210 Millionen Euro für den Kauf des englischen Fußballklub FC Chelsea im Lauf der Zeit weitere 764 Millionen für Ablösesummen und Spielergehälter hinterher warf. Parallel dazu behielt er mit seinem Superkreuzer „Eclipse“ (163 Meter Länge, geschätzte Kosten 850 Millionen Euro) gegenüber seinen Kollegen Alischer Usmanow mit der Dilbar (156 Meter) und Wiktor Raschnikow mit der „Ocean Victory“ (140 Meter) im maritimen Größenwahn die Oberhand beim Wettbewerb „Wer hat die Längsten?“.
Im Vergleich dazu ist Wiktor Wladimirowitsch Charitonin, der seine Schäfchen mit der Herstellung von Arzneimitteln ins Trockene brachte, ein Ausbund an Sparsamkeit. Rund vier Milliarden Rubel, Ende vergangenen Jahres umgerechnet 77 Millionen Euro, legte er in mehreren Schritten insgesamt für die grüne Hölle wie der einstige Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart die 1927 zu Füßen der Nürburg eröffnete Rennstrecke nannte, auf den Tisch. Ein wahrhaft glänzendes Geschäft. Denn Schätzungen zufolge beträgt der Gesamtwert von Rennkurs und den dazu gehörenden Einrichtungen mehr als eine Milliarde Euro. Wie das Magazin „Forbes Russia“ berichtet, hält Charitonin mit seiner NR Holding jetzt 99 Prozent am Nürburgring, ein Prozent bleibt bei der Motorsportgruppe Get Speed Performance Center Nürburgring.
Zuvor hatte der mittelständische Autozulieferers Capricorn zusammen mit Get Speed versucht, sich seinerseits das Projekt unter den Nagel zu reißen, was sich jedoch als mehrere Nummern zu groß für beide herausstellte. Sie hatten gemeinsam 77 Millionen Euro geboten, von denen zunächst 15 Millionen Eigenkapitalanteil bis Ende 2014 in drei Raten zu je fünf Millionen Euro zu zahlen waren. 45 Millionen Euro sollten als Fremdkapital von der Deutschen Bank kommen. Doch schon bei der zweiten Rate blieb Capricorn die Überweisung schuldig. Daraufhin trat im Oktober 2014 eine Holding Charitonins auf den Plan und übernahm zwei Drittel des insolventen Nürburgrings, Get Speed behielt ein Drittel – bis jetzt. Dass nun der Russe das nahezu komplette Heft in der Hand hat, könnte sich für die Rennstrecke und seine wahrhaft nicht auf goldenen wirtschaftlichen Füßen stehende Umgebung als Glücksfall erweisen, denn der Mann hat Benzin im Blut.
Stimmen die über den Russen erzählten Gerüchte, dann nennt er zwischen 80 und 100 Autos sein Eigen, darunter eine beträchtliche Zahl wertvoller Oldtimer. Mit einem davon, einem Mercedes 500 K aus dem Baujahr 1935 nahm der normalerweise äußerst öffentlichkeitsscheue Charitonin vor zwei Jahren an der Mille Miglia in Italien teil. Den Traumwagen mit der Startnummer 101 und dem deutschen Kennzeichen „MKK“ (Main-Kinzig-Kreis) lenkte er höchstpersönlich von Brescia nach Rom und wieder zurück. Doch ebenso stark wie für alte Autos schlägt sein Herz für die Formel 1.
In einem Interview mit „Forbes Russia“ versprach er, dass auch unter seiner Herrschaft der Nürburgring für alle möglichen Motorsportveranstaltungen, Testfahrten von Automobilunternehmen und an veranstaltungsfreien Tagen weiterhin für Touristen zur Verfügung stehen wird. Gleichzeitig bekräftigte er seinen Wunsch, demnächst auch die Formel 1 wieder in der Eifel als Gastgeber begrüßen zu dürfen: „Wir führen mit Ecclestone Gespräche, um wieder in den Formel-1-Kalender aufgenommen zu werden. Bisher haben wir allerdings im finanziellen Bereich keinen gemeinsamen Nenner gefunden.“ Dieses Hindernis könnte er freilich leicht aus dem Weg räumen. Wenn nicht alleine, dann zusammen mit einem seiner besten Freunde, dem Oligarchen-Kollegen Abramowitsch. Die in Koblenz erscheinende „Rhein-Zeitung“ berichtete von Gerüchten, dass Abramowitsch seinen Freund schon einmal bei einem Besuch am Nürburgring begleitet habe und er außerdem an Charitonins NR Holding beteiligt sei.
Sollte es gelingen, die Formel 1 erneut für die Rennstrecke vor den Toren Adenaus zu begeistern, wäre das zum ersten Mal seit 2013.
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