Formel E: Im Rausch der Geschwindigkeit
Motorsport-Fans kennen das: Jean Todd, der FIA-Präsident hat den Fahrern Glück gewünscht. Dann erlöschen die roten Lichter vor den Fahrzeugen in der Startaufstellung. Der Start ist frei. 24 Motoren brüllen ihre Kraft heraus, dass der Bauch erbebt. Kinder schreien vor Schreck und Schmerz, wenn die Ohrenschützer nicht sitzen. Heute nicht. Heute sprinten 20 Rennwagen los mit einem Rauschen, das im Applaus des Publikums untergeht. Wir sind beim ersten Rennen der dritten Formel E-Saison und damit zu Gast bei der vermutlich ersten ernstzunehmenden Rennserie, bei der die Fahrer die Begeisterung ihres Publikums hören können.
So richtig begeistert schienen die Bürger von Hongkong nicht von der Idee, mitten in ihrer Stadt Rennen zu fahren. Die „South China Times“ brachte am Tag des Rennens ein Stimmungsbild, das in Deutschland nicht wesentlich anders ausgesehen hätte: zu viele gesperrte Straßen, zu teure Eintrittskarten, zu laut und überhaupt. Da hätte nur noch der Vergleich gefehlt, den mir ein Kollege mit auf die Reise gegeben hatte: „Formel1 und Formel E, das ist wie Fußball und Frauenfußball.“ Na, zumindest stimmt an dem Vergleich, dass sich jeder mit seinem Nachbarn beim Frauenfußball und bei der Formel E unterhalten kann.Wer angesichts des elektrischen Rauschens der Renner immer noch die Nase rümpft, könnte mit dieser Meinung schon bald auf dieselbe fallen. Vor dem Rennen hatte sich BMW hochoffiziell zu seinem Partner und Fahrer Mario Andretti bekannt, der bisher schon mit Wohlwollen der Münchner seinen MA Amlin Andretti-Rennstall betrieb. Solche Stellvertreter-Engagement sind häufig, wenn noch nicht klar ist, wie sich eine Rennserie entwickelt oder wie das eigene Team Höchstleistungen erreichen kann. Nur wenige warten ab, viele wollen den Fuß in der Tür haben, bevor sie sich entscheiden, mit voller Kraft einzusteigen.
So musste Skoda für Volkswagen den Start in der World Rallye Championship (WRC) vorbereiten. Volkswagen stellte nun schon drei Mal den Weltmeister, und Skoda beherrscht die zweite Liga. Andretti wird nun BMW. Wobei der behinderte US- Rennfahrer und Goldmedaillengewinner bei den Paralympics für seinen Rennstall schon in der Vergangenheit technische und personelle Unterstützung erhalten hat. António Felix da Costa, BMW-DTM-Pilot, fährt für die Formel E für Andretti. In Hongkong landete er auf dem fünften Platz.
Auch Audi hat sich nun offiziell zu seinen Partnern Abt und Schaeffler bekannt. Das Team heißt jetzt Abt Schaeffler Audi Sport mit Betonung auf Audi und legte zum mit dem DTM-Fahrer Luca die Grassi gleich mal einen zweiten Platz vor.
Wer immer noch nicht davon überzeugt ist, dass die Großen der Autowelt auf die Formel E setzen, der sei daran erinnert, dass sich vergangenen Woche Mercedes-Benz-Rennsportchef Toto Wolff vertraglich einen Startplatz für die übernächste Saison gesichert hat. Auch ein Blick auf die Partner der anderen Teams hilft durchaus das strategische Interesse von großen Herstellern an der Formel E zu erkennen: Bei DS Virgin-Racing steck der französische Konzern PSA dahinter, bei Renault e.dams der zweite Franzose, der in die dritte Saison als Titelverteidiger startet und gleich seinen ersten Sieg einfuhr. Bleibt noch Mahindra, der indische Autohersteller, der sich mit Jeep-Nachbauten mit extrem langen Bremswegen einst einen zweifelhaften Ruf erworben hatte. Doch das Unternehmen mit Sitz im indischen Mumbai bekennt sich lieber zu seiner jüngeren Geschichte – übrigens erfolgreich. Nick Heidfeld fuhr für die Asiaten in Hongkong einen dritten Platz heraus.
Neues Spiel, neues Glück oder Phönix aus der Asche. Die Inder wollen nach oben, haben Ssanyong erworben und bauen den Logan in Lizenz. Da ist der Renneinsatz mehr als nur der Nachweis von Know how. Hier wird ein Anspruch an die Zukunft dokumentiert.
Ein ganz anderes Beispiel, für uns autobegeisterte Mittel-Europäer noch verwunderlicher, liefern die Briten von Jaguar Land Rover. 2004 fuhr der letzte Jaguar beim Großen Preis von Brasilien in einem Formel 1-Rennen mit. Jetzt, zwölf Jahre später, beenden Sie ihre Pause und steigen von Anfang an mit einem kompletten Werksteam und eigens entwickelten Autos in die Formel E ein – sozusagen mit großem Bahnhof und vollem Risiko. Das hat außer Mahindra noch kein anderer Hersteller so gewagt. Dabei haben die Briten nicht ein Auto im Programm, das sich der Elektromobilität zurechnen ließe.
Natürlich wissen auch die Entwickler von Jaguar Land Rover, dass die Elektroautos kommen werden. Sicher bauen sie auch schon längst daran. Aber sie halten sich raus aus dem Wettrennen, wer am schnellsten ein batterieelektrisches Fahrzeug auf den Markt bringt. Heute noch brillieren die Marken Jaguar und Land Rover mit erfolgreichen Produkten, die ihre klassischen Stärken vor niemandem verstecken müssen.
Auch beim Design nicht, wenn man sich erst einmal an die beiden Dumbo-Ohren der vorderen Luftleiteinheit gewöhnt hat, erinnert vieles an die Formel 1 oder andere Formel-Autos. Natürlich kommt bei den beiden Jaguar auch das British Racinggreen zum Einsatz, wenn auch nicht im originalen Farbton, was vermutlich dem Hauptsponsor zuzuschreiben ist. Das Team heißt Panasonic Jaguar Racing Team. Mitch Evans und Adam Carrol schlugen sich bei den Qualifyings für ihre Farben mit den Plätzen 14 und 16 ganz ordentlich.
In der feuchten Hitze von Hongkong herrschte beim Rennen und danach bei Technikern und Besuchern eine adrenalinschwangere Euphorie auch in Hinblick auf die Zukunft der Formel E. Hongkong überlegt, die Strecke über die bisherigen 1,8 Kilometer hinaus zu verlängern und mehr als 20 000 Zuschauer zuzulassen.
Im Moment herrscht in der Formel E der Eindruck vor, alle warten auf die fünfte Saison. Dann soll die Batterie so gut sein, dass man bei einem einstündigen Rennen auf den Fahrzeugwechsel verzichten kann. Nach dem Erlebnis in Hongkong würde ich sagen: Schade drum. Der Tankstopp hat der Formel 1 früher auch mehr Reiz gebracht als die Blitz-Reifenwechsel in drei Sekunden.
Überhaupt: Die Formel E hat viel von dem, was den alten, handgemachten Motorsport so reizvoll werden ließ: Die Jungs schenken sich nichts: Verbremser und Abflüge auf dem engen Stadtkurs, keine Auslaufzonen, nur Betonwände, an denen die besten Fahrer gerade noch vorbeikommen, während andere entlangschrammen oder reinkrachen. Berührungen mit dem Gegner sind häufig, aber selbstverständlich nie absichtlich, sondern ein ganz normaler Rennunfall – alles zum Entsetzen und zum Vergnügen der Zuschauer. Die Jungs fahren auf nur einer Reifensorte mit Profil, sie haben keine Servolenkung und müssen praktisch bei jeder Runde die Bremsbalance nachregulieren. Im Anfang – bei voller Batterie – wird kaum rekuperiert, also die Fahrt nicht vom wieder aufladenden Generator gebremst, weil in der Batterie einfach noch kein „Platz“ frei ist. Später schlägt der Generator dann umso heftiger zu. Das alles will beherrscht sein. Außerdem gehört es zum Ehrgeiz der E-Renner, am Ende mit leerer Batterie in die Boxengasse geschoben zu werden.
Bei Jaguar hatten sie uns vorher gesagt, es wäre schön, wenn beide Wagen durchkämen. Diese Bescheidenheit kennen wir schon von anderen Neueinsteigern in eine Rennserie. Und die Zurückhaltung besteht meist zu Recht. Sehr wahrscheinlich hat es noch kein Team geschafft, bei Neuanfang aufs Treppchen zu kommen, Mitch Evan schied mit einem technischen Defekt aus und Adam Caroll wurde Zwölfter. Immerhin.
Jaguar wir bei seinem E-Renner Jaguar I-Type 1 dazulernen und Formel E-Chef Alejandro Agag wird das zwölfte Team finden, das seine Startaufstellung von 24 Fahrzeugen komplettiert. Auch werden weitere Partnerschaften à la Audi, BMW, PSA und Renault entstehen. Es scheint, als wollten alle die fünfte Saison zu einer ganz großen Sache werden lassen. (ampnet/Sm)
Weitere Formel E-Termine der Saison 2016/2017:
12. November 2016: Marrakesch
18. Februar 2017: Buenos Aires
1. April: 2017: Mexico City
13. Mai 2017: Monaco
20. Mai 2017: Paris
10. Juni 2017: Berlin
1. Juli 2017: Brüssel
15. Juli 2017: New York
16. Juli 2017: New York
29. Juli 2017: Montreal
30. Juli 2017: Montreal
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