Diesel-Vergleich mit VW: Frist bis zum 30. April verlängert
Tilda Humpert (Name geändert), Besitzerin eines VW Tiguan Diesel mit dem Schummel-Motor vom Typ EA 189, hatte lange gezögert. Doch dann hat sie schließlich entschieden, sich mit Volkswagen in Sachen Diesel-Skandal nicht zu vergleichen. Die Wolfsburger hatten ihr und vielen tausend anderen geschädigten Kunden angeboten, die leidige Diesel-Geschichte mit einem Vergleich ein für alle Mal ad acta zu legen. Volkswagen hatte ursprünglich den 20. April als Stichtag genannt. Wegen des großen Interesses ist die Frist jetzt bis zum 30. April verlängert worden.
Humpert wird aber auch dieses Datum verstreichen lassen, weil sich der Bundesgerichtshof (BGH) am 5. Mai mit dem Diesel-Skandal befassen wird. Je nachdem, wie sein Urteil ausfällt, könnten VW-Kunden, die den Vergleich ausgeschlagen und sich für Einzelklagen entschieden haben, am Ende finanziell besser dastehen – oder auch nicht.
Zum Hintergrund: Nachdem sich der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) und die Volkswagen AG im Rahmen einer Musterfeststellungsklage im Februar auf einen Vergleich verständigt hatten, „lud“ der Wolfsburger Automobilhersteller in den vergangenen Wochen rund 262.000 Kunden der Marken VW, Audi, Skoda und Seat schriftlich dazu „ein“, dem Unternehmen ein Vergleichsangebot zu unterbreiten. Der Einfachheit halber hatte VW in der Anlage auch gleich den Betrag ausgewiesen, zu dessen Zahlung sich der Hersteller mit Abschluss einer Einigung binnen zwölf Wochen verpflichtet. Im Falle von Tilda Humpert waren dies 3511 Euro.
Weitere Ansprüche erlöschen
Weiter heißt es in der Vergleichsvorlage unter anderem: „Mit Abschluss dieser Einigung erledigen sich alle Ihnen gegenüber Volkswagen möglicherweise zustehenden Ansprüche … wegen der Verwendung der beanstandeten Motorsteuerungssoftware in Ihrem Auto, der Überarbeitung Ihres Autos und der Verwendung eines Thermofensters in Ihrem Auto vollständig und endgültig, und solche Ansprüche erlöschen.“
Für VW ein wichtiger Aspekt, denn die Richter des BGH urteilen wahrscheinlich schon am ersten Prozesstag über den Fall eines Käufers, der Anfang 2015 einen gebrauchten VW Sharan mit der Schummel-Software für rund 31.500 Euro erworben hatte. Der Kläger hatte das Auto zurückgeben und den Kaufpreis erstattet bekommen wollen. Das Oberlandesgericht Koblenz hatte ihm etwas mehr als 25.600 Euro zugesprochen und dabei die Nutzung des Autos angerechnet. Dagegen hatten beide Parteien Revision eingelegt. (Az. VI ZR 252/19).
BGH-Urteil völlig offen
Heftig spekuliert wird in Juristenkreisen nun darüber, ob der BGH in seinem Urteil vielleicht sogar so weit geht, dass Volkswagen das Auto nicht nur zurücknehmen muss, sondern auch die gefahrenen Kilometer nicht anrechnen darf. Sollte dies so sein, dann hätten die Kunden, die sich mit VW auf einen Vergleich verständigt haben, im Diesel-Poker wohl das schlechtere Blatt gespielt. Wie der BGH letztlich entscheiden wird, ist aber völlig offen.
Bereits am 30. April befasst sich – ebenfalls erstmals – der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Diesel-Affäre. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, ob Hersteller beim Abgas-Skandal gegen „Regelungen zur Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenwagen und Nutzfahrzeugen und über den Zugang zur Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge“ (EG-Verordnung 715/2007) verstoßen haben.
Arglistige Täuschung?
Für den Tribunal de Grande Instance de Paris, der den EuGH angerufen hat, steht dies außer Frage. Wie andere Gerichte in Frankreich bewertet er die technischen Manipulationen an den Dieselmotoren nicht nur als Verstoß gegen geltendes Recht und arglistige Täuschung der Autokäufer, sondern auch als Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier.
Nach Angaben von Christian Solmecke, Partner der Kanzlei Wilde Beuger und Solmecke, haben sich der ursprünglichen Klage vor dem Tribunal de Grande Instance de Paris 1200 Nebenkläger angeschlossen. Außerdem haben in Parallelverfahren deutsche Gerichte ihre Fragen zum Diesel-Abgasskandal dem EuGH vorgelegt: das Landgericht Gera, das Verwaltungsgericht Schleswig und das Landgericht Frankenthal. Bereits Ende 2019 hatte ein Richter des Landgerichts Stuttgart 21 Verfahren zum Diesel-Gate vor den EuGH bringen wollen, war aber durch Befangenheitsanträge von Volkswagen und Daimler daran gehindert worden. Das Urteil der höchsten europäischen Richter könnte neben VW auch andere Hersteller in Verlegenheit bringen und möglicherweise weitere Entschädigungsleistungen zur Folge haben.
Trotzdem hat sich der größte Teil der 262.000 Kunden, die VW angeschrieben hat, für die einfache, sichere und schnelle Lösung entschieden. Nach Unternehmensangaben hat VW bis heute (20. April) mit rund 200.000 Kundinnen und Kunden einen individuellen Vergleich abgeschlossen. In den nächsten Tagen sollen weitere 21.000 Fälle final geprüft werden. Für den Vergleich im Rahmen der Musterfeststellungsklage hatte sich Volkswagen verpflichtet, je nach Fahrzeugtyp und Modelljahr Entschädigungssummen von 1350 bis 6257 Euro zu zahlen. Das entspricht durchschnittlich etwa 15 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises. Die Gesamtkosten: rund 830 Millionen Euro.
Hiltrud Werner, Vorständin Integrität und Recht der Volkswagen AG, hatte die Einigung mit den Verbraucherschützern als „eine gute Nachricht für die Kunden“ bezeichnet. Gemeinsam mit dem VZBV sei eine faire und praktikable Lösung erreicht worden. „Das VW-Angebot ist nicht großzügig, liegt aber im Rahmen der bisher vor deutschen Gerichten in Individualvergleichen erzielten Entschädigungssummen“, so Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverbands.
Das sieht der ADAC ähnlich: Sachverständige würden von einer Wertminderung nachweislich manipulierter Dieselfahrzeuge in Höhe von fünf bis sieben Prozent, maximal zehn Prozent des Kaufpreises ausgehen. Demgegenüber stünden Zahlungen des Herstellers in Einzelvergleichen von bis zu 20 Prozent. „Eine Einmalzahlung bis zu zirka 15 Prozent des Kaufpreises dürfte daher als angemessener Ausgleich im Sinne einer pragmatischen Lösung zu werten sein“, so der Automobilclub.
Mit der aktuellen Vergleichsbilanz sieht sich Hiltrud Werner in ihrer Auffassung bestätigt: „Die hohe Zahl der heute geschlossenen Vergleiche zeigt, dass das Vergleichsangebot von unseren Kundinnen und Kunden als fair empfunden wurde.“ Und Dr. Manfred Döss, Chefjustiziar der Volkswagen AG, ergänzt: „Wir sind sehr zufrieden, dass wir am Ende der Registrierungsfrist so vielen das persönliche Vergleichsangebot bestätigen konnten. Damit haben wir zehntausenden Kunden, Volkswagen und dem Justizsystem langwierige Verfahren erspart.“
Juristin Humpert bleibt trotzdem skeptisch. Mit Rechtsschutzversicherung oder Prozessfinanzierer und Anwalt glaubt sie, im Rahmen einer Einzelklage einige tausend Euro mehr zu erzielen als bei einem Vergleich. Und zudem müsse sie sich bei einer Rücknahme ihres Tiguan durch den Hersteller nicht um den Verkauf ihres Kummer-Autos kümmern. ampnet
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