Darf ich bitten: Ein Tänzchen mit dem Arteon auf dem Eis
Driftspaß pur: Mit der Sportlimousine von Volkswagen in Arvidsjaur
Matthias Kahle hat noch längst nicht genug, auch wenn die Jahre an dem Endvierziger zu nagen beginnen. Sieben Mal war der gebürtige Ostdeutsche schon deutscher Rallyemeister. Und auch bei der Rallye Paris Dakar war er schon am Start. Aufhören? Was für eine unangemessene Frage. Das Benzin im Blut kann man neben dem Drifttrainer förmlich riechen. Der Rallyesport ist zwischenzeitlich ein vergnügliches Hobby für ihn. So etwa bei der Schotter-Rallye im vergangenen Jahr in der Lausitz. Seiner großen Leidenschaft komplett den Rücken kehren? Undenkbar.
Und so verbringt Kahle die Wintermonate in Arvidsjaur, rund 110 Kilometer südlich des Polarkreises. Die verlässliche Kälte in dem kleinen Ort im Schwedischen Lappland macht Arvidsjaur zum Eldorado für Driftbegeisterte. Neben dem Experience-Gelände haben etliche Automobilhersteller hier auch ihre hermetisch abgeschirmten, streng geheimen Testzentren. Und wo genau? Matthias Kahle lässt sich auch nicht am Abend und nach dem zweiten Glas Wein dieses Geheimnis entlocken. Paparazzi sind ganz heiß darauf, hier Erlkönige vor die Linse zu bekommen. Dabei wäre das gar nicht schwer.
Denn in dem winzigen Lappland-Ort mit seinen 4635 Einwohnern gibt es nur eine einzige Tankstelle. „Und da müssen folglich alle hin“, schmunzelt Martin, Chef-Instruktor bei Volkswagen Driving Experience. Doch seine heutigen Besucher interessiert vor allem eines: Nämlich Driftspaß auf Schnee und Eis.
Mehrmals pro Woche landen in den Wintermonaten Maschinen vor allem aus den hinlänglich verdächtigen Orten wie Hannover, Stuttgart und München. Männerlastige Teams erproben unter den klimatischen Bedingungen des hohen Nordens Fahrzeuge und Reifen. Volkswagen nutzt die zugefrorenen Flächen des Arvidsjaursjön auch für die regelmäßigen Angebote ihrer „Driving Experience“. Achtzig Zentimeter dick soll die Eisdecke auf dem See sein. „Ein Flugzeug könnte hier locker landen“, beteuert Martin.
Allein Volkswagen präpariert in einer Bucht des 10,1 Quadratkilometer großen Gewässers bis zu 40 verschiedene Rennstreckenvarianten mit einer Gesamtlänge von zehn Kilometern. Sechs Kreisbahnen mit 100 Metern Durchmesser und eine Dynamikfläche von 750 mal 150 Metern versprechen Drift-Hungrigen nicht satt werden zu lassen. Volkswagen Golf R, Touareg und Arteon drehen ihre Bahnen, ziehen mehr oder weniger kontrollierte Schleuderkreise.
„Driften ist wie Tanzen auf dem Eis“, sagt Matthias Kahle und dabei leuchten seine Augen. Während er den allradgetriebenen Arteon mit seinen 280 PS (206 kW), die er aus dem 2,0-Liter Benzin-Aggregat generiert, auf dem Eis-See beschleunigt, strahlt er eine unglaubliche Ruhe aus. In 5,6 Sekunden sind wir aus dem Stand formal auf Tempo100! Ein Kinderspiel für den Mann, der schon in seiner Jugend und verbotenerweise den Trabant seines Großvaters als Rennwagen für erste Fahrversuche missbrauchte. Die Reifen des Arteon sind gespickt mit 400 Nägeln mit je 2 Millimetern Länge. Die Spezialreifen des Schwedischen Herstellers „Lappi“ dynamisieren das Anfahren auf Eis und Schnee, denn sie bieten eine noch bessere Traktion gegenüber den in Mitteleuropa genutzten, normalen Winterreifen.
„Lenken mit dem Gaspedal ist die brachiale Variante“, erklärt Instruktor Martin. Und zu 85 Prozent werde das Fahrzeug mit den Augen gesteuert. Das menschliche Auge sehe „peripher“ mit einem Winkel von 175 Grad. „Nur ein Grad sieht scharf“, weiß Martin. Und genau auf dieses eine Grad müsse der Blick gerichtet sein. „Wenn ihr in die Schneemauer schaut, dann hängt ihr fast schon in ihr“, lacht er. Der Blick soll auf keinen Fall darauf gerichtet werden, wohin man „bloß nicht“ hin fahren will. Und wie macht man es richtig?
Die Theorie ist einfach: Ein fahrendes Serienfahrzeugs trägt 60 Prozent seiner Last auf der Vorderachse. Nimmt man das Gas weg, werden die Vorderräder entlastet und auf der Hinterachse lasten nun 65 Prozent. Beim Bremsen geht das Gewicht nach vorne auf die Vorderachse (75 Prozent). Das Auto folgt also der Lenkung. Und das Heck überholt. Hört sich logisch an. Doch das in der Realität umzusetzen, erfordert Mut. An den schmallsten Stellen der Strecke hat frau nur rund fünf Meter Eisfahrbahn mit einem leichten Schneeüberzug zur Verfügung, dann folgt schon der erste kleine Wall aus lockerem Schnee. Wenn frau Pech hat, setzt sie hier schon auf. Wenn nicht folgen zwei, drei Meter Schnee, die einen letzten Notabstand zu einer härteren Schneewand, von der frau sich tunlichst fernhalten sollte. Aber Volkswagen hat natürlich vorgesorgt.
Landet frau tatsächlich abseits der Strecke, ist der Abschlepp-Touareg schnell zur Stelle. Doch bevor der schmunzelnde Helfer den Arteon an den Haken nimmt, wird noch ein Beweisfoto geschossen. Denn die drei Übermütigsten werden am Ende ausgezeichnet und dürfen verlorene Plastikteile des Arteon als Trophäe mit nach Hause nehmen.
Matthias Kahle kennt keine Angst, auch nicht, wenn er als Drift-Trainer auf dem Beifahrersitz Platz nimmt. „Es kommen mehr Männer als Frauen zu uns nach Arvidsjaur“, erzählt er. Doch seien Frauen nicht weniger talentiert, als Männer. Driften habe viel mit Gefühl zu tun. So wie beim Tanzen. Die Ruhe, die Kahle ausstrahlt, hilft frau. Kahle gibt klare Anweisungen. Durch richtiges Einlenken und Anbremsen oder alleine durch einen Lastwechsel kann das Heck zu einem kontrollierten Ausbruch gebracht werden. Kleinere Kurven können so mit wechselndem Schwung und Gegenschwung des Fahrzeughecks durchfahren, beziehungsweise kontrolliert durchrutscht werden.
Auf Anhieb klappt das zwar nicht. Also gibt es auch von frau ein Foto in der Schneewand. Was soll‘s. Von Runde zu Runde hat frau dann immer mehr Spaß. Das breite Grinsen, das man eigentlich nur von abenteuerlustigen Männern kennt, konnte auch frau schließlich nicht unterdrücken. Beeindruckt vom Fahrverhalten der Oberklassenlimousine und dem Können von Matthias Kahle freut sich frau schon auf eine Wiederholung – hoch im Norden, auf dem Eis-Seen von Arvidsjaur.
Fotos: Uli Sonntag
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Cornelia Weizenecker
Ich bin die Frau bei Der-Autotester.de. Autos sehe ich nicht durch die rosarote Brille. Von heißen Kisten bleibe ich (meist) unbeeindruckt. „Hauptsache es fährt“, lasse ich aber auch nicht durchgehen. Ganz im Gegenteil. Ein Auto muss für mich vor allem alltagstauglich, umweltschonend und bezahlbar sein. Nur bei Cabrios und Oldtimern kann ich schwach werden. Elektroautos bringen mich zum Strahlen.
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