Wandel im Handel: Diese chinesischen Hersteller wollen nach Europa
Während ausländische Hersteller auf den chinesischen Markt drängen, versuchen manche Autobauer aus China das genaue Gegenteil: den Sprung nach Europa, Australien oder Amerika. Ob aus Shanghai, Guangzhou oder Shenzhen – wir stellen vier spannende Autohersteller aus dem Reich der Mitte vor.
Vor etwa 40 Jahren erkannte der damalige Volkswagen-Vorstandschef Carl Hahn das enorme Potential des chinesischen Automarktes. Als einer der ersten Manager aus der Automobilbranche knüpfte er Beziehungen mit Geschäftsleuten nach China, das damals noch als schlafender Riese galt. Seitdem hat sich viel verändert: Der schlafende Riese ist erwacht und zum weltweit größten Absatzmarkt für Pkw geworden. Der Volkswagen-Konzern verkauft heute etwa 40 Prozent seiner Fahrzeuge in China, insgesamt sollen bereits um die 42 Millionen Stück in die Volksrepublik gegangen sein.
Damit steht der Autobauer aus Niedersachen exemplarisch für eine ganze Reihe europäischer und amerikanischer Hersteller, die einen wesentlichen Teil ihres Absatzes im chinesischen Markt machen. Für BMW ist China der zweitgrößte Absatzmarkt nach Europa, Daimler erzielte 2020 mehr als ein Drittel seiner Umsätze in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde. Dennoch ist China alles andere als eine reine Importnation. Ob WEY, NIO, XPENG, Geely oder SAIC – die chinesische Automobilindustrie verfügt über eine Vielzahl eigener Hersteller, sowohl große Konzerne als auch innovative Start-ups. Einige von ihnen streben auf den europäischen Markt. Wir stellen vier spannende Marken vor.
WEY: Großes Auto, kleiner Preis, trotzdem Luxus
Die Luxusmarke WEY ist eine Tochter des chinesischen Autokonzerns Great Wall Motors. Ihren Namen verdankt sie Jack Wey, Chef des Mutterkonzerns und strategischer Kopf hinter dem 2016 gegründeten Unternehmen, das sich schon seit einigen Jahren auf einen Markteintritt in Deutschland vorbereitet. 2017 präsentierte WEY seine Fahrzeuge erstmals auf der IAA und zeigte, wohin die Reise in Zukunft gehen soll: Mit SUVs der gehobenen Mittelklasse will sich der Neuling als preisgünstige Alternative zu Premiumherstellern wie Audi, BMW oder Mercedes positionieren. Dafür hat sich WEY in den vergangenen Jahren eine Modellpalette von Plug-In- und Verbrennerfahrzeugen aufgebaut, die auf das Kürzel P8, V5, V6 und V7 hören. Im Heimatmarkt konnte die Marke davon bereits über 400.000 Einheiten absetzen.
Nun bereitet sich WEY auf den Sprung nach Europa vor, wofür es seinem Flaggschiff, dem V71 (eine Ableitung des V7), kürzlich einen neuen Anstrich verpasst hat. Auf der Shanghai Auto Show im April 2021 wurde es zusammen mit zwei neuen Konzeptfahrzeugen (Latte und Macchiato) der Weltöffentlichkeit präsentiert. Während die beiden letztgenannten voraussichtlich erst später im europäischen Markt verfügbar sein werden, soll der V71 ¬– der in China nun unter dem Namen Mocca läuft – bereits im Herbst 2021 in Deutschland bestellbar sein. Der Premium-Plug-In-Hybrid kommt mit einem Durchschnittsverbrauch von 1,4 Litern auf 100 Kilometern, einer Batterie mit etwa 200 Kilometern Reichweite und einem automatischem Parkassistenten. Beim Design setzt WEY auf markante Linien, breite Schultern und einen großen Kühlergrill in Chrome-Optik. Preise für den V71 (Mocca) hat der Hersteller bisher noch nicht bekannt gegeben. Spätestens auf der IAA Mobility im September 2021 dürften jedoch weitere Details folgen, da WEY auch in diesem Jahr an der Mobilitätsmesse teilnimmt. Vielleicht klärt das Unternehmen dann auch auf, woher die in China ungewohnte Leidenschaft für Kaffee kommt…
NIO: Hochgehandelter Tesla-Zwilling
Nicht weniger spannend ist das 2014 gegründete Elektro-Start-up NIO, das interessierten Beobachtern aufgrund seiner geschickten PR-Arbeit bereits bekannt sein dürfte: Sein erstes Modell stellte es 2016 in einer Londoner Galerie vor. Ein extrem breit und flach gebauter Elektro-Rennwagen (EP9) in metallic-blau, der für viel Aufsehen sorgte, bis zum heutigen Tag jedoch nur sechsmal gebaut wurde. Anders als die beiden Folgemodelle ES8 und ES6, zwei SUVs, die seit 2017 bzw. 2018 in China verkauft werden. Und das mit wachsendem Erfolg: 2018 lagen die Absatzzahlen noch bei knapp 8.000 Stück, 2020 bereits bei rund 44.000.
Eine ähnliche Entwicklung hat auch die Aktie des Herstellers aus Shanghai genommen, die 2018 an der New York Stock Exchange bei 9,9 Dollar startete und heute (Anfang Mai 2021) bei etwa 40 US-Dollar liegt. Ein Börsenerfolg, der NIO bereits den Spitznamen „chinesischer Tesla-Zwilling“ eingebracht hat. Das liegt auch an der KI-basierten Autosoftware NOMI und der mit über 1.000 Kilometern Reichweite angekündigten Elektro-Limousine ET7, die stark an den Elektro-Hersteller aus Kalifornien erinnern.
Geht es um den europäischen Markt, ist NIO von seinem Vorbild allerdings noch weit entfernt. Doch laut Firmengründer Li Bin soll sich das noch in diesem Jahr ändern: „Uns ist bewusst, dass wir auch in Europa schon viele begeisterte Fans haben. Wir haben auch schon Pläne, dort unsere Autos zu verkaufen. Wir werden dort zunächst in einem Land starten und wollen das dann Schritt für Schritt ausbauen“, so Li Bin bei der Vorstellung des ET7 im Januar. Als Startpunkt für Europa hat sich NIO den norwegischen Markt ausgesucht, der als Vorreiter in Sachen E-Mobilität gilt.
XPENG: Start-up mit starken Investoren
Jung und elektrisch – das gilt auch für das 2014 gegründete Unternehmen XPENG, das sich mit Mittel- und Oberklassewagen bereits einen Namen in China gemacht hat. Aus der Millionenstadt Guangzhou will es nun nach Europa expandieren, wobei es sich auf die langjährige Expertise seiner beiden Gründer, Xia Heng und He Tao, verlassen kann, die zuvor für den chinesischen Automobilkonzern Guangzhou Automobile Group gearbeitet haben. Doch das junge Start-up verfügt nicht nur über viel Branchenkenntnis, auch in finanzieller Hinsicht ist es bereits gut aufgestellt. So sind der chinesische Internet-Riese Alibaba und der Elektronikhersteller Foxconn nur zwei der vielen namenhaften Investoren, die hinter XPENG stehen. Mit ihnen hat das Start-up in den vergangenen Jahren bereits zwei Elektro-Modelle erfolgreich auf den chinesischen Markt gebracht – das SUV G3 und die Sportlimousine P7. Seit ihrer Markteinführung zeigt die Absatzkurve klar nach oben: 371 verkaufte Autos 2018, 16.000 ein Jahr später und 2020 rund 27.000.
Ein Erfolg, den XPENG nun mit frischem Geld aus seinem Börsengang in Europa wiederholen will. So können Kunden den G3 bereits seit Dezember 2020 in Norwegen kaufen, wenn auch nur in stark limitierter Stückzahl. Ein Schritt, den viele Beobachter als ersten Testversuch für den europäischen Markt werten. Ein passendes Modell dafür könnte die Familienlimousine P5 sein, die XPENG gerade erst auf der Shanghai Auto Show vorgestellt hat. Der Vollstromer mit etwa 600 Kilometern Reichweite soll automatisierte Fahrten auf der Autobahn und im Stadtbereich möglich machen.
SAIC: Großkonzern mit „New Energy“-Offensive
Die Shanghai Automotive Industry Corporation, kurz SAIC, gehört zu den größten Autoherstellern in China. Einer der Gründe dafür sind ihre zahlreichen Kooperationen mit ausländischen Herstellern, wie General Motors, MG oder dem Volkswagen-Konzern, für die SAIC im chinesischen Markt verschiedene Modelle anbietet. Dabei unterliegt SAIC, genauso wie auch alle anderen Hersteller, den Auflagen der chinesischen Regierung, die seit einigen Jahren bestimmte Absatzquoten für „neue Energiefahrzeuge“ festgelegt hat, also für E-Autos, Hybride und Brennstoffzellenautos. Ein Bereich, in dem SAIC nun zu einer umfassenden Modelloffensive ansetzt. So will der Hersteller sein „New Energy“-Angebot bis 2025 auf etwa 100 Modelle ausweiten. Neben einigen Brennstoffzellenautos sollen batterieelektrische Fahrzeuge dabei den Großteil ausmachen.
Und mit denen will der chinesische Konzern nun auch den europäischen Markt erobern. Mit der britischen Traditionsmarke MG ist dafür bereits ein Hersteller mit europäischer Marktkenntnis im Portfolio. Seit Anfang 2021 bietet sie in Österreich, Norwegen, Deutschland und den Niederlanden ein Elektro-SUV des chinesischen Konzerns an. Das Modell namens ZS EV kommt mit einer 44 kWh starken Batterie und einer Reichweite von etwa 260 Kilometern und kostet knapp 32.000 Euro.
Der SAIC ZS. © SAIC
Geely: Mit Elektro-Power aus Skandinavien
Ein anderer Großkonzern aus China ist Geely. Neben den in Europa eher unbekannten Marken Emgrand, Englon, London Taxi, Panda und Shanghai Maple Automobile gehören dem Unternehmen auch die beiden skandinavischen Hersteller Volvo und Polestar an, die 2010 und 2015 von Geely gekauft wurden. Mit ihnen ist der chinesische Konzern indirekt im europäischen Markt vertreten und versucht vor allem im Elektro-Segment zu punkten. Während Volvo seine Modellpalette bis 2030 komplett auf emissionsfreie Antriebe umstellen will, ist die Mittelklasse- und Tuningmarke Polestar komplett auf batterieelektische Antrieb spezialisiert. In ihrem Portfolio bietet sie sowohl eine Hybrid-Limousine (Polestar 1, stark limitiert) als auch eine reine Elektro-Limousine an (Polestar 2).
Die IAA MOBILITY wandelt sich von einer reinen Autoshow zur internationalen Mobilitätsplattform mit vier Säulen: Dem Summit, der Conference, der „Blue Lane“ und dem innerstädtischen Open Space. Unter dem Motto „What will move us next“ steht sie für die digitale und klimaneutrale Mobilität der Zukunft. Vom 7. bis 12. September 2021 kommen die Auto-, Fahrrad- und Tech-Industrie auf der IAA MOBILITY in München zusammen.
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