Schneller als ein Formel-1-Wagen: Volkswagen Polo R Supercar gewinnt Rallycross-WM
Windböen wirbeln den Sand über den Racetrack in Killarney. Die südlichste Stadt Afrikas wird vom Berg „Lion’s Head“ überragt. Hier, rund 20 Kilometer nördlich von Kapstadt entfernt, findet zum ersten Mal ein Rennen der FIA-Rallycross-Weltmeisterschaft statt. Und es ist gleich das Final-Wochenende der Rallycross-Saison 2018. Für viele Südafrikaner und die dort lebenden Europäer das sportliche Highlight des Jahres.
Riley und Rubin, zwei deutschstämmige Jungs, pressen ihre Nasen durch den Absperrzaum. Riley, der Vierjährige, trippelt dabei mit seinen kleinen Füßen auf dem unbefestigten Boden. Dabei drückt er mit seinen kleinen Fingern seinen Pullermann durch den Stoff der Hose ganz fest zusammen. „Nein, ich muss nicht“, versichert er seiner Mama empör, als sie ihn auf eines der Toi-Tois an der Strecke begleiten möchte. Für solche Nebensächlichkeiten ist nun wirklich keine Zeit. Zwei im Abstand von rund 3 Metern aufgestellte Zäune sichern die 1,060 Meter lange Strecke. Davon sind 60 Prozent asphaltiert. 40 Prozent verlaufen auf Schotter und Dreck. Hier jagen driftende Fahrzeuge an den begeisterten Zuschauern vorbei. Nicht allein die Kinderaugen strahlen vor Begeisterung. Hochkarätige Fahrer wie Petter Solberg, Johan Kristoffersson, Ken Block, Sebastian Loeb oder Andreas Bakkerud scheuchen ihre RX-Supercars über die herausfordernde Piste. Den kleinen Jungs bleibt kaum Zeit durchzuatmen. Mit offenem Mund verfolgen sind sie die vorbeifliegenden Autos. Die Fahrzeuge hier sind an den meisten Stellen schneller unterwegs, als die in der Formel Eins, erzählen die beiden Brüder begeistert. RX-Supercars können in weniger als 2 Sekunden von Null auf Tempo 60 beschleunigen.
„Für uns ist das Rennen das Highlight des Jahres“, bekennt Papa Michael. Obwohl die Eintrittskarten für hiesige Verhältnisse sehr teuer sind, kommen zu diesem Rallycross-Spektakel unglaublich viele Zuschauer. Viele sind mit ihren Campingstühlen hier, auf den Ladeflächen von Pickups angereist. Andere kommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln an der „Potsdam-Station“ an, deren Name an die deutschen Auswanderer erinnern soll. Die Karten im äußeren Ring, ohne Sitzplätze, sind deutlich günstiger.
Hier herrscht Volksfeststimmung. Über den Dieselskandal oder Abgaswerte spricht hier niemand. Hier versammeln sich eingefleischte Motorsportfans. Den Autoherstellern müsste das Herz aufgehen. Papa Michael und seine Familie haben Karten für Plätze direkt an der Strecke. Er weiß, was seine Jungs mögen – und er selbst natürlich auch. Die Stimmung auf der Formel Eins-Strecke von 1960 gefällt dem ausgewanderten Deutschen. Einige Plätze weiter auf den Zuschauerrängen hat einer der ausgeschiedenen Rallycross-Fahrer Platz genommen. Ganz ohne Berührungsängste mit dem Publikum – wo gibt es das noch?
Riley verweigert während dessen noch immer den ratsamen Gang zur Toilette. 28 Rennen über je 4 Runden dauern jeweils runde 3,5 Minuten. Da muss die Blase was aushalten. Riley kann nicht sagen, wie viele Rennen er schon schon gesehen hat, schließlich kann er erst auf 10 zählen.
In einem VW Polo R Supercar mit 570 PS maximaler Leistung jagt Johan Kristoffersson an dem Vierjährigen vorbei. Riley vergisst vor lauter Begeisterung den Mund zu schließen. Kristoffersson ist übrigens der amtierende Rallycross-Weltmeister und auch im laufenden Jahr steht er bereits als Weltmeister fest.
Noch am Freitag vor dem Wochenende hatte das Team PSRX Volkswagen, dem der Schwede angehört, mit Problemen zu kämpfen. Starke Winde verhinderen nämlich das Anlegen des Containerschiffes auf dem die VW Polo Supercars und die Ausrüstung des PSRX Teams nach Kapstadt transportiert wurden. Zum Glück kann das Schiff am Samstagmorgen anlegen und die Rennwagen entladen werden. Leider verpasst das PSRX-Volkswagen Team durch das Problem die technische Abnahme am Freitag. Als Strafe dafür dürfen Petter Solberg und Johan Kristoffersson im freien Training nur vier Runden fahren. Für das Team eine akzeptable Strafe. Johan Kristoffersson steht ja bereits als Fahrerweltmeister fest. Und auch die Teamwertung hat PSRX-Volkswagen bereits gewonnen. Allein der zweite Platz von Petter Solberg ist noch nicht fix.
Unzählige Sonnenschirme müssen am Samstag geschlossen werden, damit sie nicht durch die Luft fliegen. Selbst volle Bierflaschen fegt der Wind zu Boden. Scherben über Scherben. Der riesige Monitor über den die Zuschauer das Qualifying verfolgen können, wird sicherheitshalber an den Stahlseilen in Richtung Boden gelassen. Zu gefährlich. Im Fahrerlager herrscht trotz des Windes ausgelassene Stimmung.
Der Norweger Andreas Bakkerud vom EKS Audi Sport Team lässt sich von einer mitgereisten Fangruppe feiern. Grid-Girls zeigen ihre Reize, und posen geduldig vor den Linsen der Smartphone-Kameras der Zuschauer. Jede Menge Selfies machen die männlichen Autofans mit den Mädels. In der Box von Team PSRX Volkswagen wird indes fleißig geschraubt. Die Mechaniker haben nur Augen für die beiden Polos. Jede Minute zwischen den Rennen wird genutzt. Das Rennen auf der gemischten Oberfläche aus Sand, Schotter und Asphalt bereitet den Fans zwar ein unglaubliches Vergnügen, bedeutet für Fahrer, Mechaniker und Fahrzeuge aber eine enorme Belastung. Der Enthusiasmus und die Anspannung der Techniker ist zu spüren. Das ist noch echter Motorsport. Die Bedingungen sind streng und die Auflagen sind noch verschärft worden. Nur zwei Motoren pro Fahrer und Saison sind erlaubt – bisher waren es drei. Die Anzahl der Turbolader, die im Laufe einer Saison eingesetzt werden dürfen, wurde ebenfalls gesenkt: von bisher sechs auf vier. Auch bei den Reifen gibt es Anpassungen, um die Kosten zu senken. Pro Auto stehen bei den ersten beiden Saisonrennen jeweils zwölf neue Reifen zur Verfügung, ab dem dritten Rennen dürfen die Teams pro Auto acht neue und vier gebrauchte Reifen zur Verwendung anmelden.
Die Wettbewerbsregeln bei den Rennen zur FIA-Rallycross-Weltmeisterschaft sind einfach zu verstehen. Fast alles ist erlaubt. Die Fahrer haben nur 4 Runden, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Also gibt es eine Menge Blechkontakte, Streitereien und Verzweiflung. In den Rennen über je vier Runden sind maximal sechs Autos am Start. Es geht darum, jede Runde so schnell wie möglich zu absolvieren, da nur die zwölf schnellsten Fahrer das Halbfinale erreichen. Auch im Halbfinale sind jeweils sechs Autos am Start, doch gehen die Rennen hier über sechs Runden. Die drei schnellsten Fahrer kommen ins Finale. In jedem Rennen muss jeder Fahrer eine sogenannte „Joker-Runde“ nutzen. Das ist eine um etwa 200 Meter verlängerte Variante der Strecke, die über eine Zubringerstraße führt. Dabei kommt es oft zu weiteren Blechkontakten. Bereits am Start, wenn die Fahrer ihre Motoren bis zum Drehzahlbegrenzer aufheulen lassen, wird es richtig laut. Kanonenartige Knaller erschrecken die Zuschauer, eine Flamme sticht aus den Auspuffen. Die meisten Supercars basieren auf bekannten Kleinwagen wie Ford Fiesta, Citroën DS3, VW Polo, Peugeot 208 oder Audi A1. Riesige Flügel und wulstige Radkästen lassen sie wie gedopt aussehen.
Für die beiden Supercars vom Team PSRX Volkswagen hätte es in der Rallycross-Weltmeisterschaft (WRX) im Jahr 2018 kaum besser laufen können. Johan Kristoffersson wird im Volkswagen Polo R Supercar souverän Weltmeister. Und auch am letzten Rennwochenende feiert er einen Sieg und damit einen perfekten Abschluss einer fantastischen Saison. „Wir hatten das ganze Jahr eine großartige Atmosphäre im Team, alle haben für mich gekämpft“, dankt Kristofferssen seinem Team.
Kristofferssons Teamkollege Petter Solberg sichert sich zwar nach Platz vier im Qualifying. Das Finale muss er jedoch nach einem Rennunfall frühzeitig beenden.
Trotzdem wiederholt die Mannschaft um Teamchef und Fahrer Petter Solberg den Vorjahreserfolg und gewinnt erneut den Titel in der Teamwertung.
Nicht nur Fahrer lieben Rallycross. Die Zuschauer lassen sich von den Künsten der Fahrer begeistern. Ob es der kleine Riley noch rechtzeitig auf die Toilette geschafft hat, ist indes nicht überliefert. Verraten hat er uns allerdings, was sein größter Wunsch ist: Rallycrossfahrer werden.
Fotos: Heinrich Hülster und Der-Autotester.de
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Cornelia Weizenecker
Ich bin die Frau bei Der-Autotester.de. Autos sehe ich nicht durch die rosarote Brille. Von heißen Kisten bleibe ich (meist) unbeeindruckt. „Hauptsache es fährt“, lasse ich aber auch nicht durchgehen. Ganz im Gegenteil. Ein Auto muss für mich vor allem alltagstauglich, umweltschonend und bezahlbar sein. Nur bei Cabrios und Oldtimern kann ich schwach werden. Elektroautos bringen mich zum Strahlen.
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