Die neuen 911er Allrad-Modelle – erstmals schneller als ihre Geschwister
Die größte Leistung von Porsche? Sie lässt sich nicht in schnöden PS-Werten ausdrücken. Wie dann? Die Verantwortlichen in den Bereichen Technik und Design schaffen es mit jeder Überarbeitung das scheinbar nicht zu Verbessernde noch einen Ticken besser zu machen. Wenige Ausnahmen, wie einst die Frontscheinwerfer mit den integrierten gelben Blinkergläsern in der Form eines auslaufenden Spiegeleis, bestätigen nur die Regel. Und diese Regel – so viel sei an dieser Stelle schon verraten – bestätigt sich auch beim neuen Modell mit der internen Bezeichnung „991 II“.
Noch schärfer und doch ganz der Klassiker
Nachdem kurz vor Jahresende 2015 der überarbeitete und optische feingeschliffene Porsche 911 in den Porsche Zentren vorgestellt worden ist, kommen Ende Januar die Allrad-Varianten auf den Markt. Der-Autotester hatte die Gelegenheit, den neuen 911 Carrera 4, dem 911 Targa 4 und dem 911 Turbo in Augenschein zu nehmen und fahrtechnisch auf den Zahn zu fühlen. Die sommerliche Wärme Südafrikas mit dem schmeichelnden Licht der afrikanischen Sonne und garantiert eisfreien Straßen schienen den Porsche PR-Strategen der richtige Ort, um das sportliche Trio in Szene zu setzen.Und wie es sich für pfeilschnelle Sportwagen geziemt – neben den öffentlichen Straßen auch auf der Rennstrecke. In Kyalami. Zwei Klassiker treffen aufeinander.
Kyalami – Rennstrecke mit langer Tradition
Kyalami – dieser Name hat noch immer Klang. Viele von uns erinnern sich an die faszinierenden Formel-1-Rennen in den 70ern auf dem Race Track bei Johannesburg. Niki Lauda, James Hunt, Mario Andretti und Co lieferten sich auf dem geschmeidigen Rundkurs packende Duelle. In den letzten Jahrzehnten war es jedoch ruhig geworden um Kyalami. Die Formel 1 hat sich längst verabschiedet und mit ihr andere Rennserien.
Allrad-Modelle traditionell mit breiterem Heck als normale 11er
Der Rundkurs dämmerte – einem Dornröschenschlaf gleich – vermodernd vor sich hin. Bis im vergangenen Jahr ein vermögender Privatmann die Strecke mit der gesamten Anlage erworben hat. Seither wird viel Geld investiert und aufwändig modernisiert. Noch immer werkeln unzählige Handwerker auf der Anlage. Der Belag der Strecke wurde neu aufgebaut und neue Gebäude entstehen. Im Mai 2016 soll alles fertiggestellt sein.
Mit uns auf die Rennstrecke
Der-Autotester ist begeistert von diesem Rundkurs mit seinen signifikanten Höhenunterschieden und der harmonischen Linienführung. Perfektes Terrain auch für den Porsche Turbo und den Turbo S, die beide als Coupé und auch als Cabrio zu haben sind. Die Spitzenmodelle der 911-Baureihe präsentieren sich ab sofort mit 20 PS (15 kW) mehr Leistung, geschärftem Außendesign und aufgewerteter Ausstattung. So zeigt die sogenannte Dynamic Boost Funktion auf der Rennstrecke deutlich, dass durch sie das Ansprechverhalten des Motors weiter verbessert wird.
Dynamic Boost macht ihn noch schärfer
Wie das funktioniert? Dynamic Boost erhält auch bei Lastwechseln den Ladedruck. Das nun serienmäßige Sport-Chrono-Paket steigert mit seinen vier Programmen die Fahrdynamik spürbar. Für sie ist in erster Linie selbstredend der Motor verantwortlich. Der 3,8 Liter-Sechszylinder mit Bi-Turbo-Aufladung verhilft dem 911 Turbo dank effizienterem Turbolader nun zu einer maximalen Leistung von 540 PS (397 kW). Der Turbo S bringt es sogar auf 580 PS (427 kW). Spaß macht auch der am Lenkrad angebrachte Sport Response Button. Er sorgt bei Bedarf 20 Sekunden lang für optimierte Zwischenbeschleunigung. Man muss ihn ja nicht an der Ampel nutzen. Aber auch ohne diesen Spaßbringer erreicht der 911 Turbo neue Rekordzeiten beim Sprint.So spurtet das Turbo Coupé nun in nur 3,0 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Noch etwas schneller ist der Turbo S. Er schafft diesen Norm-Sprint in 2,9 Sekunden. Damit sind beide jeweils 0,2 Sekunden schneller als ihre Vorgänger. Auch die Top-Speed beider Modelle liegt nun noch etwas höher. Der 911 Turbo erreicht maximal 320 Stundenkilometer. Der Turbo S beachtliche 330 Stundenkilometer. Schade nur, dass dafür abseits der Rennstrecke kaum Gelegenheit geben wird. Durch eine Erhöhung des Einspritzdrucks ist es den Porsche Ingenieuren um Baureihenleiter August Achleitner gelungen, den Verbrauch trotz erhöhter Leistung um runde 6 Prozent zu reduzieren. 9,1 Liter auf 100 Kilometer resultieren als Normverbrauch.
Die Cabrio Variante benötigt akzeptable 0,2 Liter mehr. Wer den neuen 911 Turbo artgerecht bewegen möchte, wird jedoch kaum unter 12 – 13 Liter davon kommen. Was bei einem Anschaffungspreis im Bereich um 200.000 Euro kein wirkliches Hindernis sein sollte. Für Fahrspaß ist selbstredend auch das Fahrwerk zuständig. Das sogenannte PASM (Porsche Active Suspension Management) erhielt nochmal eine größere Spreizung zwischen Sportlichkeit und Komfort. Eine Hinterachslenkung und die neue Multikollisionsbremse gehören nun zum Serienumfang. Gegen Aufpreis ist dagegen ein Liftsystem zu haben, das den Vorderbau des 911 Turbo, bei Bedarf und niedriger Geschwindigkeit, um 4 Zentimeter anhebt und ihm damit mehr Bodenfreiheit verleiht. Zum Ausstattungsumfang des Turbo S gehört das Wankausgleichsystem PDCC und auch die Keramik-Bremsanlage, mit der sich die Verzögerungswerte den Beschleunigungswerten anpassen.
Auf der Rennstrecke ist „mein zuhause“
Auf dem Kyalami Race Track (wörtlich übersetzt heißt „Kyalami“ übrigens „mein Zuhause“) fühlte sich das Gesamtpaket des neuen 911 Turbo nahezu perfekt an und ich mich schnell heimisch. Die 580 PS des Turbos S, aber auch schon die 540 PS des Turbo, sind eine schier unerschöpfliche Kraftquelle. Selbst bei Lastwechselsituationen in Tempobereichen um 200 Stundenkilometer reagiert der Porsche 911 Turbo unvorstellbar gutmütig. Sogar wenig geübte Fahrer kommen mit diesem Sportwagenklassiker gut zurecht. Ambitionierten, erfahrenen Sportwagenfahrern lässt die Elektronik indes nahezu jede Möglichkeit, die Grenzen der Physik zu suchen. Klingt fantastisch! Gibt es da wirklich nichts Negatives? Doch! Den Preis.
911 Turbo S mit 580 PS Spitzenleistung
Klar. Und sonst? Ja, der Sound. Mir ist sein Klang des 911 Turbo eine Spur zu brav. Eine einstellbare Hammer-Sound-Variante würde dem neuen Turbo gut zu Gehör stehen. Sonst noch was? Ja. Eine optische Petitesse. Mit dem in Wagenfarbe gehaltenen Element in der Mitte des Hecks oberhalb des ausfahrbaren Heckflügels tue ich mich schwer. Da gefällt mir die Carrera 4 Variante mit dem durchgehenden Element und dem Leuchtstreifen besser, weil sie weniger dick aufträgt. Aber das ist eine Geschmacksfrage.
Auch ein Porsche muss effizienter werden
Ach ja: Beinahe vergessen. Neben dem veränderten Design wollen auch der Carrera 4 und der Targa 4 mit weniger Verbrauch, neuem Allradantrieb und neuem Infotainment-System mit intuitivem Multi-Touch-Bildschirm und gut funktionierender Realtime-Navigation überzeugen. Die bereits aus den hinterrad-getriebenen Carrera-Modell bekannten Biturbo-Boxer-Motoren verteilen ihre Kraft hier auf nun 4 Räder und leisten 370 PS im Carrera 4 und 420 PS im 4S. Also auch hier 20 PS mehr als bisher. An Drehfreude mangelt es diesen Turbo-Motoren wahrlich nicht. Und erstmals sind die Allradler schneller als die entsprechenden Modelle mit Heckantrieb. So spurtet das 911 Carrera 4 Coupe mit Automatikgetriebe (PDK) und Sport-Chrono-Paket in 4,1 Sekunden von null auf Tempo 100. Das S-Modell in 3,8 Sekunden. Targa und Cabrios sind mit 0,2 Sekunden nur minimal langsamer. Die Höchstgeschwindigkeit der Targa 4 und Carrera 4 Modelle liegt zwischen 287 und 305 Stundenkilometern. Der Normverbrauch der Carrera 4 und Targa 4 Modelle schwankt um 8 Liter und schafft damit knapp einen Liter weniger als der Vorgänger.
Fazit
Einmal mehr: Super Job! Die Ikone bleibt, was sie war und wird trotzdem noch besser. Der Allradantrieb macht die kraftstrotzenden Sportwagen ein ganzes Stück sicherer. Ein Riesenspass für ambitionierte Piloten. Aber auch Fahrer ohne Rennsport-Gene können die Allrad-Elfer mühelos bewegen. Für die meisten von uns werden Carrera 4, Targa 4 und vor allem Turbo und Turbo S ob ihrer hohen Preise Traumwagen bleiben. Zum Glück werden Träume manchmal wahr.
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Dr. Friedbert Weizenecker
Dr. Friedbert Weizenecker - Seit mehr als 15 Jahren schreibe ich Auto-Themen für mehrere Zeitungen. Vor meiner Zeit als Auto-Journalist habe ich wirtschaftswissenschaftliche Features für ein Wirtschaftsmagazin und für Zeitungen verfasst. Als Volkswirt, Betriebswirt und Soziologe versuche ich auch ökonomische und gesellschaftliche Aspekte einfließen zu lassen. Autos sind meine Leidenschaft.
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