CES 2019: Rinderknechts Micro Snap für alle Fälle
Die Schweiz ist bekannt für Schokolade, Kräuterbonbons, vielseitige Taschenmesser und natürlich Uhren in allen Preisklassen. Automobile Innovationen sind hingegen eher dünn gesät. Die kleine, aber feine Automobilindustrie der Eidgenossenschaft ist längst Geschichte. Korrektur: Nicht ganz, denn der Zürcher Ingenieur Frank M. Rinderknecht überrascht die automobile Welt schon seit Jahren mit originellen Entwicklungen aus seiner Ideenschmiede Rinspeed, die sich eher an der Zukunft der Mobilität orientieren.
In den vergangenen Jahren wählte er deshalb nicht die inzwischen leicht angestaubten internationalen Automobilmessen als Bühne, sondern die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas, die sich längst zu einem Schaufenster der künftigen Mobilität entwickelt hat. Im Januar präsentiert Rinderknecht dort mit dem Micro Snap ein autonom fahrendes Vehikel, mit dem der Schweizer die urbane Logistik vollkommen neugestalten will.
Der elektrisch angetriebene und autonom fahrende Micro Snap ist eine verkleinerte Version des Anfang 2018 ebenfalls in Las Vegas vorgestellten Snap, bei dem Fahrwerk („Skateboard“) und Aufbauten („Pods“) jederzeit austauschbar sind. Nun also der Micro Snap, der in der Größe ungefähr einem Renault Twizzy entspricht. Gleichzeitig zeigt Rinspeed in Las Vegas eine Roboterstation, die selbstständig die Aufbauten je nach Einsatzzweck austauschen kann. Während in der konventionellen Automobilfertigung die Verbindung zwischen Fahrwerk bei der sogenannten Hochzeit eine immerwährende Bindung zur Folge hat, ist diese Kombination beim Micro Snap allenfalls eine „Ehe auf Zeit“.
Rinderknecht reagiert mit seiner Entwicklung auf die neuen Ansprüche an eine vom Onlinehandel getriebene Logistik und auf den Wunsch vieler Stadtbewohner nach einer individuellen Mobilität, die nicht unbedingt mit dem Besitz eines Fahrzeugs verbunden sein muss. Der Zürcher glaubt an die Zukunft kleiner, autonomer Fahrzeuge, die „ausschwärmen und ohne Umwege ihre Fracht just in time liefern“. Und wenn die Micro Snaps als Transporter ausgedient haben, kommt die Roboterstation ins Spiel und tauscht die Karosserie, sodass danach zweisitzige „Robo Units“ die Passagiere komfortabel und schnell ans Ziel bringen. Rinderknecht ist überzeugt, dass „Kunden zeitnah beliefert werden und viele Passagiere keine Sammeltaxis wollen, die systembedingt zeitintensive Umwege fahren müssen.“
Nach dem ersten Auftritt des Snap in Las Vegas erlebte Rinspeed, wie ein Automobilkonzern seine Idee aufgriff und seine eigene Interpretation des Konzepts vorstellte. Rinderknecht reagierte mit typischer Schweizer Gelassenheit und fragt: „Wer hat‘s erfunden?“ Inzwischen laufen Verhandlungen, um den Snap in den kommenden Jahren auf die Straße zu bringen.
Der Micro Snap übernimmt die Grundidee des Snap: Die Aufbauten für die unterschiedlichen Aufgaben sollen so lange halten wie ein Automobil heute. Die verschleiß- und alterungsanfälligen Komponenten sind in den Fahrwerken platziert, die nur so lange genutzt werden, bis sie die Grenzen ihrer Betriebsdauer erreicht haben. Sie werden dann, so das Konzept, recycelt und gegen neue Hardware ausgetauscht.
Dank einer mehrstufigen Authentifizierung wird jeder Nutzer von seinem Micro Snap so empfangen als säße er in seinem eigenen Fahrzeug. Während der Fahrt reagiert das Fahrzeug auf Spracheingabe, wobei die Passagiere den Sprachassistenten ihrer Wahl nutzen können. Die Unterhaltung der beiden Passagiere lässt sich individuell auf den jeweiligen Geschmack abstimmen, sodass die beiden Insassen unterschiedliche Programme wählen können, ohne dass der Partner gestört wird.
Für sein 25. Konzept-Fahrzeug griff Rinderknecht, wie in den vergangenen Jahren, auf ein internationales Netzwerk von Zulieferern zurück. So stammen das Robotik-System und der automatische Ladehilfe-Assistent von Kuka aus Augsburg, die mit der Außenwelt kommunizierende Lichttechnik samt blendfreiem Fernlicht steuert Osram bei. Der 48-Volt-Traktionsmotor für den Vortrieb kommt vom Stuttgarter Zulieferer Mahle, bisher vor allem für seine Kolben in Verbrennungsmotoren bekannt. Der Strom für die Energiespeicher kommt über ein Schnellladekabel der Firma Harting aus dem westfälischen Espelkamp in den Micro Snap. Der Iris-Scanner für die Insassenerkennung wiederum stammt vom US-Unternehmen Gentex, das auch die dimmbaren Scheibenelemente liefert, die auch im Boeing Dreamliner verbaut werden. Ibeo Automotive Systems liefert die Sensorik, die Hindernisse und Menschen auf der Straße früh und genau erkennt. Der Thermomanagement-Spezialist Eberspächer schließlich sorgt für das passende Klima im Innenraum und in den Frachtcontainern.
In einem Punkt allerdings wählte der visionäre Frank Rinderknecht eine konventionelle Lösung: Die Zeit zeigt eine Uhr mit Schweizer Kreuz in dem die gesamte Breite einnehmenden Bildschirm. Und für Schokolade und Kräuterbonbons ist auch Platz. ampnet
Fotos: Rinspeed
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