Autonomes Fahren: Die USA „googeln“ schon einmal vor
Während im alten Europa autonome Pkw-Fortbewegung vorerst noch Testfahrern und Prüfingenieuren vorbehalten bleibt, steht die automobile Revolution jenseits des Atlantiks schon jetzt unmittelbar vor ihrem kommerziellen Einsatz für jedermann, -frau und -kind. Von Waymo zum Beispiel, Tochterunternehmen von Alphabet (vormals Google) zur Entwicklung von Technologien für selbstständig fahrende Autos, können Kunden des US-Discounters Walmart schon heute profitieren. Lebensmittel, die sie über die Walmart-Website bestellen, bekommen sie in Phoenix im Bundesstaat Arizona auf Wunsch per Waymo-Taxi nach Hause „gegoogelt“. Womit dieser Begriff, hierzulande für den Gebrauch der Internetsuchmaschine gebräuchlich, eine völlig neue Bedeutung bekommt.
Schon jetzt legt Waymos Testfahrzeugflotte in den USA täglich knapp 40 000 Kilometer zurück, viele davon mit echten Kunden in Phoenix. Bei Alphabet heißt es: „Wir haben festgestellt, dass die meisten der Fahrten für Besorgungen erfolgen, die Leute wollen Einkäufe erledigen, zur Arbeit pendeln, zum Abendessen ausgehen oder den Dienst nutzen, wenn ihr eigenes Auto zur Reparatur in der Werkstatt steht.“
In Kürze wollen Walmart und Waymo in den USA – bekanntlich das Mutterland der Dienstleistungen – mit einem Test beginnen, der den Kunden jede Woche Rabatte für Lebensmittel einräumt, wenn diese auf Walmart.com bestellt werden. Während im Laden die Order vorbereitet wird, transportieren Waymo-Fahrzeuge die Kunden von und zum Walmart, um dort die Einkäufe abzuholen. Weiterer Vorteil: In der Hitze des Sommers von Arizona mag niemand seine Einkaufstüten weit tragen. Waymo versucht daher, seine Fahrzeuge so nah wie möglich zur vom Kunden gewünschten Eingangstür zu kutschieren.
Neuerdings können auch ausgewählte Gäste des „Element Hotel“ in Chandler, eine halbe Autostunde südöstlich des Flughafens von Phoenix entfernt, selbstfahrende Waymo-Autos als Shuttleservice nutzen. Geschäftsreisende, die während ihrer Aufenthalte dort vom und zum Büro pendeln müssen, bekommen so die Gelegenheit, selbstfahrende Technologie selbst in der Praxis zu erleben.
Schließlich will Waymo die Zusammenarbeit mit der Autohandelsgruppe Auto Nation und dem Autovermieter Avis Budget Group vertiefen. Auto Nation, das bereits für Waymo die Fahrzeuge in Phoenix wartet, bietet seinen Kunden an, Waymos selbstfahrende Autos auszuprobieren, während ihre eigenen Fahrzeuge gewartet werden, anstatt ein normales Leihfahrzeug zu nutzen. Und die Avis-Budget-Gruppe, die dafür sorgt, dass die Waymo-Fahrzeuge elektrisch geladen, aufgetankt und für die Fahrer einsatzbereit sind, wird Waymos selbstfahrende Autos bald auch als letzte Meile für Avis-Kunden in Phoenix anbieten, wenn sie ihren Leihwagen abholen oder abgeben wollen.
Doch Waymo ist in den USA nicht alleine. Im Norden der Vereinigten Staaten beispielsweise hat das Start-up-Unternehmen „nuTonomy“ soeben die Erlaubnis bekommen, autonome Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen stadtweit in Boston zu betreiben. Damit ist es das erste Unternehmen, das in der ganzen Stadt testen darf. Und weit im Süden, in Frisco, einem Vorort von Dallas in Texas, beginnt ein weiteres Start-up namens „Drive.ai“ in diesen Tagen damit, Passagiere auf Anruf hin abzuholen und an ihr gewünschtes Ziel zu bringen.
Drive ai nutzt dazu auf autonome Fahrweise der Stufe 4 umgebaute Nissan NV200. Level 4 bedeutet, dass der Wagen vollautomatisch fährt, in Notsituationen jedoch um menschliche Hilfe bitten kann. Bleibt die aus, hält er automatisch an. Bei Drive ai, wo vorläufig noch ein Fahrer für Notfälle am Steuer sitzt, zeigen externe Monitore am Fahrzeug anderen Fahrern und Fußgängern, welche Aktionen das Auto gerade durchführt. Lässt es beispielsweise einen Fußgänger die Straße überqueren, teilt es ihm das mit – vergleichbar dem Fahrer, der einem Fußgänger mit einem Winken auffordert zu gehen. Auf dem Bildschirm auf der Rückseite wird der Fahrer im nachfolgenden Auto informiert, dass das Auto hält, weil ein Fußgänger die Straße überquert. Auf dem Bildschirm zum Bürgersteig kann das Fahrzeug einen Fahrgast namentlich ansprechen, damit er einsteigt.
Mehr und mehr tritt autonomes Fahren jenseits des Atlantiks aus der reinen Testphase heraus. Europa muss aufpassen, dass es nicht den Anschluss verliert. ampnet
Fotos: Nu Tonomy/Waymo/Drive ai
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